Saemtliche Werke von Jean Paul
Durchgeführte beziehen dürfen. Allerdings zeugen, um von der Persönlichkeit anzufangen, die Werke des genannten Freundes von einem verständigen, umschauenden, einsichtigen, unterrichteten, ausgebildeten und dabei wohlwollenden, frommen Sinne. Ein so begabter Geist blickt, nach eigentlichst orientalischer Weise, munter und kühn in seiner Welt umher, erschafft die seltsamsten Bezüge, verknüpft das Unverträgliche, jedoch dergestalt, daß ein geheimer ethischer Faden sich mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer gewissen Einheit geleitet wird. Wenn wir nun vor kurzem die Naturelemente, woraus die älteren und vorzüglichsten Dichter des Orients ihre Werke bildeten, angedeutet und bezeichnet, so werden wir uns deutlich erklären, indem wir sagen: daß, wenn jene in einer frischen einfachen Religion gewirkt, dieser Freund hingegen in einer ausgebildeten, überbildeten, verbildeten, vertrackten Welt leben und wirken und ebendaher sich anschicken muß, die seltsamsten Elemente zu beherrschen. Um nun den Gegensatz zwischen der Umgebung eines Beduinen und unseres Autors mit wenigem anschaulich zu machen, ziehen wir aus einigen Blättern die bedeutendsten Ausdrücke: Barrierentraktat, Extrablätter, Kardinäle, Nebenrezeß, Billard, Bierkrüge, Reichsbänke, Sessionsstühle, Prinzipalkommissarius, Enthusiasmus, Zepterqueue, Bruststücke, Eichhornbauer, Agioteur, Schmutzfink, Inkognito, Kolloquia, kanonischer Billardsack, Gipsabdruck, Avancement, Hüttenjunge, Naturalisationsakte, Pfingstprogramm, Maurerisch, Manualpantomime, Amputiert, Supranumerar, Bijouteriebude, Sabbaterweg usw.
»Wenn nun diese sämtlichen Ausdrücke einem gebildeten deutschen Leser bekannt sind oder durch das Konversationslexikon bekannt werden können, gerade wie dem Orientalen die Außenwelt durch Handels- und Wallfahrtskarawanen, so dürfen wir kühnlich einen ähnlichen Geist für berechtigt halten, dieselbe Verfahrungsart auf einer völlig verschiedenen Unterlage walten zu lassen. Gestehen wir also unserm so geschätzten als fruchtbaren Schriftsteller zu, daß er, in späteren Tagen lebend, um in seiner Epoche geistreich zu sein, auf einen durch Kunst, Wissenschaft, Technik, Politik, Kriegs- und Friedensverkehr und -verderb so unendlich verklausulierten, zersplitterten Zustand mannigfaltigst anspielen müsse, so glauben wir die ihm zugesprochene Orientalität genugsam bestätigt zu haben.« Goethe macht im weiteren Verlauf seiner Note auf das Gefährliche dieses Verbindens der verschiedensten Gegenstände miteinander für den Prosaisten aufmerksam. Dem Poeten der gebundenen Sprache, sagt er, verzeihe man alles wegen eines unerwarteten Reimes; beim Prosaschriftsteller komme alles auf das Individuum an, das ein solches Wagstück unternimmt. »Ist es ein Mann wie Jean Paul, als Talent von Wert, als Mensch von Würde, so befreundet sich der angezogene Leser sogleich; alles ist erlaubt und willkommen.«
Goethe hat hier mit seinem intuitiven Geiste den Nerv Jean Paulschen Schaffens berührt. Dieses Heranziehen des Stofflichen aller Art, um es zum Weltbilde zusammenzuschließen, ist in der Tat ein hervorragendes Kennzeichen Jean Paulscher Prosa wie jeder bedeutsamen Dichtung überhaupt. Wenn kleinere Geister sich immer wieder an diesem Überreichtum gestoßen haben und überladene Geschmacklosigkeit in dieser Häufung finden wollten, so rühmt gerade ein Kenner wie Goethe das Maß an diesem »Talent von Wert«, diesem »Menschen von Würde«. Es entgeht ihm aber das Wichtigste: daß nämlich Jean Pauls Prosa in ihrem strengen Bau nicht durchaus Prosa, sondern durchweg stilisierte Sprache ist, die allein diesen Andrang von Bildern und Gleichnissen auszuhalten und zu tragen vermag. Und vielleicht hatte jener Kenner, der Goethen auf das orientalische Moment bei Jean Paul aufmerksam machte, etwas völlig anderes gemeint als das, was Goethe auf seine Weise aufgriff, nämlich jenes ruhige Beharren im Absoluten, das ohne weiteres die Brücke zu den Mysterien der asiatischen Religionen fand. Goethe selbst hatte sich ja in seinem »Westöstlichen Diwan« auf den nahen Orient der Mittelmeerländer beschränkt. Wäre er in den fernen Orient vorgedrungen, so hätte er bei weitem mehr Vergleichspunkte mit Jean Paul gefunden, wie sie offenbar dem von ihm zitierten Kenner vorschwebten.
Aber die Bereicherung, die Jean Paul durch seinen Verkehr mit Emanuel empfing, läßt sich nicht fortstreiten. Es war eine Freundschaft ganz eigener Art, anders als Jean Paul ihr
Weitere Kostenlose Bücher