Saemtliche Werke von Jean Paul
Charakter kann in toten vagen Zügen, sondern bloß in Handlungen und Reden nachgebildet werden – kurz nur dramatisch. Das Kühne ist also, daß ich ihn mit seinem Namen geradezu in eine (schon entworfene) romantische nicht kleinliche Geschichte einführe, wo er, nicht weit von der Hauptperson, ohne viel Handlung seinen ganzen Charakter ausbreitet. Freilich ist diese Geschichte nicht im geringsten seiner wirklichen verwandt. Er soll darin, in diesem Rauche von einem Hohlspiegel, lebendig werden und sich regen, soweit es meine arme Hand vermag. Ich werde mich um kein Urteil in Hof bekümmern, wenn deines es nicht ratifiziert. Dann füg’ ich (trotz dem Schaden, den ich der Illusion tue) dem Buche einen Anhang bei, wo ich das Wahre seiner Geschichte und einige zusammengedrängte Aufsätze (indes ich viele seiner Meinungen in das Buch verstreue) als eine Frage gebe, ob man mehr wolle. Das Honorar des Anhangs und alles dessen, was er erfindet im Buch, gehöret natürlich seinem Vater und wird dadurch größer, weil ich für mein Buch (zumal jetzt) mehr erhalte als für seines. Ich mag Dir die Stiche nicht vorzählen, die mir bisher die Erscheinung seines Vaters oder der Gedanke an ihn durch die Seele gab – und doch war ich an zwei eiserne Ketten gebunden – 1. an meine Bedürfnisse, die mir durchaus keine halbjährige Unterbrechung meiner eigenen Schreibereien vergönnten – 2. an den jetzigen philosophischen Geschmack, dem seine Metaphysik halb zuwider, halb nicht neu genug ist, da er zu wenig las. Der bloße Stil war, da die meisten Philosophen jetzt nicht einmal seinen haben, seinen Schriften nicht am meisten nachteilig. Kurz ich konnte bisher unmöglich das zu jeder Arbeit unentbehrliche Feuer bei der Besorgnis erhalten, daß der bloß philosophische Richterstuhl mit den Erwartungen unzufrieden sein werde, die mein Lob des Verfassers so hoch spannen mußte. Ich weiß, Du trennst meine Verehrung seiner Genialität von dem Urteil über seine Werke. So konnt’ ich z. B. in dem ins Reine geschriebenen im 1. Teil nicht fünf auffallende Gedanken finden. Schreib’ mir heute noch, weil jetzt meine ganze aufgerüttelte Phantasie zuckt und brüten will – schreibe mir auch noch einige Kautelen – Und schicke mir (aber auch bald) einige seiner Briefe, wenn Dein Urteil sie nötig findet. In der idealistischen Geschichte aber bleibt er Doktor und Grafenhochmeister. Ich lechze ordentlich nach der ersten Zeile, wo sein Name vorkömmt.«
Wer sollte bei diesem Brief nicht an Leibgebers Gestalt im »Siebenkäs« denken! Wenn Leibgeber und Siebenkäs dort ihre Namen vertauschen, wenn gleich im Beginn, bei Siebenkäsens Hochzeit, in der Rede Leibgebers der sprühende bizarre Geist des toten Freundes vor uns ausgebreitet wird, so wissen wir, daß wir im »Siebenkäs« die Verwirklichung dieses Briefes an Otto zu suchen haben, auch wenn in der Dichtung nicht der Name Hermanns genannt und keine seiner Schriften dem Buche angehängt wird. In diesem Brief haben wir die Geburtsstunde des »Siebenkäs« vor uns. Aber Jean Paul war damals von dem Plan des Romans noch weit entfernt. Einem ganz andern Buche dachte er des Freundes Gestalt einzufügen: den»Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin«. Tatsächlich beginnt der erste Entwurf dieses neuesten Buches mit Hermanns Gestalt, wie er sie in dem Brief an Otto angedeutet hatte. Doch auch hier mußte er einsehen, daß sich der Gedanke nicht verwirklichen ließ. Eine Figur, halb als Romanfigur, halb als Wirklichkeit aufgefaßt, mußte die Einheit jedes Werkes zersprengen. Er ließ also vorläufig den Gedanken an Hermann überhaupt fallen und gab sich dem Schaffen der Biographischen Belustigungen hin, die in mancher Beziehung eine Vorstudie zu dem großen »Kardinalroman« sind. Im August 1795 finden wir ihn an der Arbeit, und am 24. Februar 1796 wurde die kurze Vorrede geschrieben.
Das Werk besteht aus sechs »Belustigungen« und einem satirischen »Appendix«. Der Anfang knüpft an den »Hesperus« an: Jean Paul wohnt in Flachsenfingen als appanagierter Prinz, als den ihn der Schluß des »Hesperus« kenntlich gemacht hat. Weil in Flachsenfingen noch Winter, in Waldkappel aber bereits Frühling ist, fährt er im geschlossenen Wagen mit heruntergelassenen Wagenfenstern dorthin, um sich auf einmal vom Frühling überströmen zu lassen. Es sind seine Fahrten nach dem südlicher gelegenen Baireuth aus dem rauheren Hof, auf die er hier anspielt, und man wird
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