Saemtliche Werke von Jean Paul
immer deutlicher war ihm bewußt, daß erst der Besitz der Liebe und ihre Erfüllung den Mann reift. Wenn er die Totalität des Lebens umspannen wollte, dann mußte er selbst in den Besitz der Liebe kommen, das heißt zur Ehe, und sich mit ihren Problemen auseinandersetzen. Das Bild seiner zukünftigen Ehe auszumalen, liebte er seit Jahren, aber noch immer war er von diesem Ziele weit entfernt. Als er sich mit Karoline verlobte, war es ihm wohl von Beginn an klar gewesen, daß dieses halbe Kind nicht der Mensch war, mit dem er in Gemeinschaft ein ganzes langes Leben verbringen würde. Vielleicht hatte er von Schwarzenbach aus noch glauben können, daß ein näheres Zusammensein die fehlende seelische Gemeinschaft zwischen ihnen herstellen würde. Nach seiner Übersiedelung nach Hof mußte er indessen einsehen, daß das nähere Zusammensein sie nur mehr und mehr voneinander entfernte. Schon im Sommer hatte Amöne leise Andeutungen darüber machen müssen, daß sich ihre Schwester in seiner Abwesenheit nicht sonderlich liebevoll über ihren Verlobten ausspreche. Anfang Dezember folgte dann der förmliche Bruch. »Ich sehe schon, es wird mir bei Ihnen gehen, wie es – –« hatte Karoline, den Satz nicht beendend, zu Jean Paul gesagt, offenbar auf Amönens, Helenens und Renatens Verhältnis zu ihm anspielend. Sie mochte seit langem die Empfindung haben, daß es ihr nicht gelingen würde, den umschwärmten Dichter auf die Dauer an sich zu ketten, und hatte vielleicht auf einen baldigen Bruch hingearbeitet. Ob dieser Bruch, als er eintrat, Jean Paul übermäßig erschütterte? Es ist kaum anzunehmen. »Aber lostrennen werd’ ich mich durch eine stufenweise Absonderung von Ihrem Hause (wo mich ohnehin eines ums andere beleidigt), wie am Ende von Hof«, schreibt er ihr in der Antwort auf ihren Absagebrief. Und fügt den charakteristischen Satz hinzu: »O es wird dir wehe tun, es wird dein Auge und dein Herz auseinanderdrücken, wenn du einmal zu Ostern in meinem Buche meine Seele wiederfinden wirst, die du so kalt von deinem Herzen wegdrückst.« Nur »stufenweise« wollte er sich von dem Hause der Braut entfernen. Es beweist, wie gleichgültig er im Grunde die Auflösung der Verlobung nahm, da er sich und Karoline unbekümmert weiterem Verkehr und Anschauen aussetzte.
Auch von Hof gedachte er sich also damals schon »stufenweise« zu entfernen. Sein Leben hatte in Baireuth ein anderes und verlockenderes Zentrum gefunden. Als sich ihm in der Residenz neue Kreise erschlossen und er dort mit einem Enthusiasmus aufgenommen wurde, der in der Tat von der Art, mit der man ihm in Hof begegnete, außerordentlich abwich, schrieb er ins Tagebuch: »Am fremden Orte bekömmt man einen Stolz, der gegen die alten Bekannten zürnt. Ich sah, wie leicht es mir wird, mich einzuführen, und verwünschte die Verschwendung meines Werts bei den Hofer Leuten.« Und fast wörtlich das gleiche schrieb er an Amöne: »Der arme Jean Paul hat überhaupt bisher sein Herz zu sehr verschwendet und zu sehr Hof für die ganze Welt gehalten.«
Bereits im Juli des vorigen Jahres, als Jean Paul, noch im »Hesperus« schwelgend, auf der Reise zu Wernlein nach Neustadt einige Tage in Baireuth weilte, war ihm die Stadt zu seinem »Maienthal« geworden. »Ich fahre in einem Freudenmeer auf und ab und seh’ darin weder Himmel noch Erde mehr«, hatte er an Renate geschrieben, deren zahlreiche Baireuther Beziehungen ihm die dortigen Kreise erschlossen. Es war Karoline von Flotow, die Tochter eines Baireuther Kammerdirektors, die im Fluge sein Herz eroberte. »Die kleine Flotowin ist schön – himmlisch – ebenso unschuldig als bescheiden – ebensogut gebildet im Gesichte als im Geiste«, schrieb er an Renate, und diese schickte ihm in das Baireuther Paradies diesen Gruß: »O gewiß: ihr seid die schönsten Stunden meines Daseins, wo ich mich mit Ihnen, Freund, über dieses schwüle Leben hinüberschwang und mich voll der süßesten Hoffnungen an einen Ort dachte, wo wir uns alle lieben werden – und alle glücklich sind.« »Die Flotowin soll (Sonne und Mond wegen) der Regenbogen oder die Iris heißen«, schwärmte Jean Paul von der Herzensfreundin seiner Freundin weiter. Er bat Renate, ihm am nächsten Sonntag einen Brief für die Flotowin zu übersenden, »in diesem Brief ihr meine tolle Bitte zu schreiben oder auch nicht – damit ich beim Empfange des ihrigen etwas in Händen habe, womit ich ihn gleich bezahle.« Ein Schwelgen in herrlichen Tagen
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