Saemtliche Werke von Jean Paul
noch über Goethe!« hatte Karl Philipp Moritz bei dem ersten Eindruck der »Unsichtbaren Loge« ausgerufen. Aber erst im »Hesperus« trat dieses ganz Neue völlig in die Erscheinung. Schon der erste Roman wirkte auf einige wenige wie eine Offenbarung, der »Hesperus« aber riß das ganze Volk hin. Mit einem Schlage wurde Jean Paul zum berühmtesten Dichter seiner Zeit, und eigentlich blieb er den weiten Schichten der Bevölkerung immer der Dichter des »Hesperus«. Das ist das Tragische auch des im vollen Glanze des Ruhmes stehenden Jean Paul. Ein gewaltiger Weg lag noch vor ihm, nur die erste Stufe seines großen Schaffens hatte er eben erst erstiegen, aber die Zeit folgte ihm nicht weiter. Im Strahlenglanz des Ruhms blieb er unverstanden und gedemütigt, mochte er auch seine Kunst höher und höher spannen. Für die Welt bedeutete jedes folgende seiner Werke fast eine Enttäuschung. Das aber war erst das Schicksal der späteren Jahre. Nach dem »Hesperus« fühlte er nur, daß seine Sonne in den Zenith gestiegen war.
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Am 3. Mai 1794 zog Jean Paul von Schwarzenbach nach Hof zurück. Die beiden ältesten seiner Scholaren kamen auf das Baireuther Gymnasium, und sein Schwarzenbacher Lehrauftrag war erledigt. Wenn dem Dichter jetzt auch für eine nahe Zukunft ganz andere Aussichten sich öffneten, war seine Notlage noch keineswegs gehoben. Trotz der jubelnden Aufnahme der »Unsichtbaren Loge« durch Moritz ging das Werk fast eindruckslos am Lesepublikum vorüber. Moritz war tot, und sein Schwager Matzdorff legte der Honorierung des »Hesperus« den geringen Erfolg der »Unsichtbaren Loge« zugrunde. Er glaubte für die erste Auflage nicht mehr als 200 Taler anlegen zu dürfen und erbot sich, bei einer eventuellen zweiten Auflage 1 Friedrichsdor für den Bogen zu zahlen. »Nun kann man 4 ,5 Hundsposttage verwenden, bis man der guten Braut nur etwas an den Rumpf oder an die Ohrläppchen gekauft habe«, schreibt Jean Paul an den Verleger mit Hinblick auf seine Verlobte Karoline Herold. Er mußte nicht nur wieder mit der Mutter und einigen Brüdern das enge Stübchen teilen, sondern auch von neuem Schüler suchen, um nur leben zu können. Wie in Schwarzenbach richtete er, diesmal für die jüngeren Geschwister seiner Freundinnen, einen Schulkursus ein, der ihm nach wie vor die Hälfte der Kraft raubte. Immer wieder begegnen wir in seinen Briefen dem Hinweis auf seine wartenden Schüler, die ihn zum Abbrechen des Schreibens zwingen, und man kann wohl annehmen, daß ihm das Unterrichten nicht mehr dieselbe Freude machte wie vor einigen Jahren, da sein Dichtergenius von ihm jetzt völlig Besitz ergreifen wollte.
Diesmal folgten dem Ende des Romans keine seligen »Sabbathwochen«, auch drückte ihn der mißglückte Schluß des »Hesperus« nieder. Nur auf seine seelischen »Schwelgereien« hatte er in dem Werk bedacht sein wollen, aber er hatte übersehen, daß er diesem Erguß von Empfindungen einen Plan zugrunde gelegt hatte, der nur durch ein umfassendes Lebensganzes erfüllt werden konnte. Die »Unsichtbare Loge« war ein Bruchstück geblieben und dennoch mehr vollendet als der »Hesperus«, dessen Verlegenheitsschluß nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß das Werk innerlich Fragment geblieben war. Hinter der Gestalt seines Helden Viktor stand kein Lebensprogramm; keine besondere Stufe war erklommen worden; das Sichfinden der Liebenden stand nicht als Sinnbild eines schöpferischen Lebens da, das sich nun mit der Erfüllung der Sehnsucht dem Helden auftat. Das alles war auch in der »Unsichtbaren Loge« nicht der Fall gewesen, aber dieses Buch gab sich dafür ehrlich als Fragment, während der unglückliche Schluß des »Hesperus« die Unvollkommenheit nur desto peinlicher hervorhob. Mehr als je mußte Jean Paul darauf brennen, im dritten Anlauf sein eigentliches Meisterstück zu liefern. Der Plan des »Titan« beschäftigt ihn mehr und mehr. Immer deutlicher taucht er in den Briefen auf, aber mit bewußter Zucht wird er zurückgewiesen. Noch eine Reihe von Jahren will Jean Paul der Vorbereitung auf dieses Lebenswerk widmen, das den ursprünglichen Plan der »Unsichtbaren Loge« mit stärkeren Mitteln ausführen soll. Er fühlt, daß er selber in seinem Leben erst eine höhere Stufe erreichen muß, um einen Helden zur höchsten hinführen zu können.
Für das Streben nach Erfüllung einer Liebe hatte er im »Hesperus«, ja bereits in dem ersten Roman den vollkommenen Ausdruck gefunden. Aber
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