Saemtliche Werke von Jean Paul
sonst begegnete. Zeitlebens kam es nicht zu dem zutraulichen Du, mit dem der Dichter gern seine sonstigen Freunde auszeichnete. Die Schwerhörigkeit Emanuels, die ihm den Gebrauch eines Hörrohrs aufzwang, mochte dazu beitragen, eine gewisse Distanz zwischen den Freunden aufrechtzuerhalten, ohne daß dadurch die Herzlichkeit ihrer Beziehungen gemindert wurde. Bei Emanuel pflegte Jean Paul zu wohnen, wenn er sich wie jetzt öfters in Baireuth aufhielt, und der behagliche Luxus einer reichen Häuslichkeit blieb gewiß nicht ohne Eindruck auf ihn. Besonders aber mußte sich Jean Paul von dem Interesse angezogen fühlen, das die Baireuther an seinem Schaffen nahmen. Hier waren seine Bücher früher als er selbst bekannt, während die guten Hofer es als eine Auszeichnung für ihn auffaßten, wenn sie überhaupt seine Bücher lasen, die er ihnen ins Haus trug. Damals mochte zum erstenmal der Gedanke in ihm aufsteigen, sich »stufenweise« von Hof zu lösen und in das anregendere, südlichere, freundlichere Baireuth überzusiedeln.
Ein neuer Freund, den er hier fand, war der Hofrat Schäfer, Erzieher des jungen Prinzen Lichnowsky. In der Mutter des Prinzen, der Fürstin Christiane Lichnowsky, lernte Jean Paul zum erstenmal eine Vertreterin der großen Welt kennen, die ihn so bald als Heimatberechtigten aufnehmen sollte. »Sie ist täglich bei Schäfer«, schrieb er im Sommer 1795 an Otto. »Da ihr mein ›Hesperus‹ recht ist (sie lieset bloß Engländer, weil sie einmal einen heiraten wollte; und es ist schade, daß sie die deutsche Lektüre nicht aus demselben Grunde sucht): so wollte sie als eine Gönnerin der Gelehrsamkeit den Gelehrten vor sich hinhaben, der den ›Hesperus‹ in den Himmel gesetzt. Es tat dem Gelehrten Schaden, daß die Gasse der Präsentierteller war, auf dem er ihr hingehalten wurde. Ich und Schäfer begegneten ihr. Was tat’s? Ich setzte mich den andern Morgen hin und verbrachte ihn himmlisch mit ihr, indem ich nichts geringers zeugte als ein poetisches – zehn Seiten langes punctum saliens , das ihr Nachmittags zum ewigen Gebrauch Schäfer überreichte. Die Bescheidenheit verbeut mir, Dir die Art zu sagen, wie die hohe Person das punctum aufnahm. Nachmittags erschien der salierende Punktmacher selber und war bis Abends mit diesem hohen Haupte und mit seinem kahlen unter Einer Stubendecke. Gestern ging sie und Schäfer und die 2 Kinder und die Niece (sie trägt noch ihre schönen Augen, aber ich muß sie auch etwan zu sehr vorgelobet haben) zwei Stunden spazieren und Paul wandelte mit… Sie hat eine vollkommen schöne Taille, große Augen, proporzionierte Züge und solche feste Teile: man schwebt bei ihr zwischen den logischen Urteilen, sie war und sie ist schön, mitten inne, und es käme bloß auf sie an, daß man eines ergriffe und festhielte. Sie drückt sich genau, bestimmt, leicht und kurz und fein aus; aber das Fein-Fein-Fein (wie der beste Zucker heißet), worauf ich immer passe, ist eher bei Leuten beiderlei Geschlechts in unsern Ständen zu finden.«
Das punctum saliens , das Jean Paul der Fürstin überreichen ließ, ist der Aufsatz »Traum im Traum«, der bald darauf dem »Siebenkäs« eingefügt wurde. Man hat deshalb die Fürstin mit der Natalie im »Siebenkäs« in Zusammenhang gebracht. Aber eine ganze Anzahl von Äußerungen über die Lichnowsky widerspricht dem. Jean Paul hat auch nicht die geringste Spur einer Neigung zu ihr gefaßt und stand ihr vollkommen objektiv gegenüber. »Ich bin froh,« schreibt er an Schäfer, »daß die Alexanderin – die ich im Ganzen ich weiß kaum warum liebhabe – Ihnen wieder aus der Sonne getreten ist, die sie Ihnen, wenn Sie sich diogenisch sonnen wollten, bis auf die letzten Strahlen verbauete.« Und an Otto mit Übersendung des »Traum im Traum«: »Du mußt nur bedenken, daß es recht schwer ist, Dichterei, Lob und Wahrheit auf einmal anzubringen. Übrigens wußt ich schon damals, daß der Ton darin für erhabene Leute wie die Fürstin nicht passe, bei denen nichts anders erhaben sein darf.« Das war nicht der Ton, den Jean Paul hatte, wenn er von einer Erscheinung wirklich entflammt war. »Der Nutzen, mit einer Fürstin umzugehen, ist der, man fässet doch den Mut, mit ihren Kammerjungfern umzugehn«, heißt es in dem Briefe an Otto. Mit Bewußtsein lehnte also der Dichter jede allzu starke Annäherung an die Fürstin und ihren Stand ab, wie er das »Fein-Fein-Fein« des Ausdrucks für die Leute »in unsern Ständen« in Anspruch
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