Saemtliche Werke von Jean Paul
widergeklungen hätte. Es war nicht nur ein Akt der Freundespietät, wenn er Hermann in seinen Gestalten immer wieder auferstehen ließ, es war in gleichem Maße ein Akt der Selbstbefreiung. Seit er im Leben festen Fuß gefaßt hatte, waren ihm die Ottomarschen Seiten in seinem und des Freundes Charakter nicht mehr in dem Maße gefährlich, daß hier ein solcher Befreiungsakt notwendig gewesen wäre. Der Ausbruch nihilistischer Verzweiflung, wie er noch in Ottomar zum Ausdruck kommt, hatte aufgehört, seine Gefahr zu sein. Was in ihm noch davon lebendig war, hatte er sich in jener Leichenrede Viktors vor dem eigenen Bilde in der Verzweiflungsnacht von St. Lüne vom Herzen geschrieben. Aber gefährlich blieb ihm noch immer der Humorist und Satiriker. Mit ihm hatte er sich ständig auseinanderzusetzen. Nicht nur, daß er immer wieder die Neigung zeigte, alle Illusionen in den eigenen Schöpfungen zu durchbrechen, durch einen Witz die ganze von ihm selbst mühsam getürmte Welt zu zerblasen, er opferte als Satiriker auch einer allgemeineren Gefahr des Schaffenden überhaupt: nichts ganz ernst zu nehmen, sich in Freiheit über die Wirklichkeit zu erheben und mit Menschen und Dingen ein verbrecherisch ästhetisches Spiel zu treiben. Es war die »romantische Ironie«, die wenige Jahre später als ästhetisches Prinzip zur Herrschaft gelangte. Jean Paul empfand den gefährlichen Zauber einer solchen rein ästhetischen Einstellung an sich selber, und ihre Überwindung hat ihn Jahrzehnte fast ausschließlich beschäftigt. Junker Matthieu im »Hesperus« ist die erste Gestalt, in der er diesem ästhetisierenden Spielen mit Lebenswerten entgegentrat. Im »Titan« steigerte er sie zu der faszinierenden und doch so abgründigen Erscheinung Roquairols, sie nunmehr schon genauer und bewußter nach dem Bilde der ersten Romantiker formend. Innerlich aber hängen Matthieu und Roquairol mit den Humoristen Fenk und Leibgeber zusammen. Auch in ihnen lebt die Gefahr, die Schwere des Daseins im Spiel aufzuheben, und wenn sie ein richtiger Takt und eine belebende Kraft des Gemüts vor den Ausschreitungen der beiden Junker sichert, so beruht diese Einschränkung nur auf ihrer individuellen, nicht ihrer grundsätzlichen Einstellung zum Dasein.
Schon Gestalten wie Matthieu und Roquairol sind nicht ohne verführerischen Reiz. Welch ein Zauber muß aber erst von innerlich befreiten Personen ausgehen, wenn sie noch überdies mit allen Vorzügen des Gemüts ausgestattet sind wie Fenk und Leibgeber! Hier naht der radikale Skeptizismus in seiner verführerischsten Gestalt, von dem Nimbus innerer Tragik umleuchtet. Denn es ist Tragik, und vielleicht die bitterste, die es geben kann, aus dem Kreislauf des Lebens, aus der Wärme menschlicher Gemeinschaft durch einen Zwang des Intellekts ausgeschlossen zu sein und dennoch alle Bereitschaft für diese menschliche Gemeinschaft in sich zu tragen. Es ist die Tragik des Humoristen, der die Menschen und Dinge in ihrer Zwecklosigkeit, in ihrem Ausgegossensein liebt und nicht mehr ganz zu ihnen gehört.
In einer solchen Gestalt den Schatten des Freundes zu beschwören, das allerdings mußte Jean Paul, auf dem noch immer das Schuldgefühl Hermann gegenüber lastete, im höchsten Maße reizen, besonders wenn er sich damit eigene geistige Nöte von der Seele schreiben konnte. In Fenk hatte er das Problem nur oberflächlich angeschnitten, jetzt wollte er es durch endgültige Gestaltung bannen. Je mehr ihm die Anregung dazu durch Hermann gekommen war, desto weiter allerdings mußte er sich gerade hierbei von den äußeren Umrissen der Gestalt Hermanns entfernen. Hermann war schön gewesen. Schon bei Fenk hatte Jean Paul der Gestalt des Humoristen eine gute Dosis Häßlichkeit beigemengt. Ottomar freilich konnte mit allen körperlichen Vorzügen ausgestattet erscheinen, aber Hermann war ja nicht nur Ottomar, er war eben zu einem starken Teil seines Wesens Humorist und Zyniker, und als solcher durfte er unmöglich über den Zauber äußerer Schönheit verfügen. So gab der Dichter dem Zyniker Leibgeber eine groteske Häßlichkeit und unterstrich dieselbe noch durch den Bullenbeißer Saufinder. Zugleich zog er aus dem zynischen Naturalismus Hermanns die äußerste Konsequenz. Leibgeber glaubt weder an Gott noch an Unsterblichkeit. Das ist der tiefste Schatten, der über der Freundschaft des Armenadvokaten und Leibgebers lastet. Und doch gab Jean Paul dem kaum noch Zweifelnden etwas ausgesprochen Gottnahes. Gott lebt
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