Saemtliche Werke von Jean Paul
wandte sich den Dornenstücken zu. »Ich habe jetzt kaum Zeit zu niesen,« schreibt er am 16. September an Otto, »so setzt mir der Berliner zu. Denn die Dornenstücke – eine närrische Biographie in meiner Manier – müssen fertig gefärbt werden.« Am 9. November war er bereits erheblich vorgeschritten. »Diese Lieferung wird wahrscheinlich die letzte schriftstellerische Plage sein, die ich Dir in diesem Jahr mache. Du gehst dann einem langen Sabbathjahr entgegen… Dein voriges Blättchen hat, Einmal ausgenommen, überall recht gehabt im Erraten und im Beweisen… Das obige Einmal bezieht sich auf deine Konjektur über die Hochzeitrede: sie fiel mir erst vier Zeilen nach ihrem Anfang ein – wenige Einfälle ausgenommen, fuhr mir die Rede, wie sie ist, heraus – sie wurde mir so leicht, daß ich sie… nicht das Herz hatte umzugießen, aus Angst, sie werde noch einmal so dick – und für den Leibgeber kann wegen der künftigen großen Kardinalbiographie nichts toll genug sein, ob er dort gleich nur eine Nebenrolle bekömmt – und das Gefühl eines Humoristen, wie Er sein soll, drückt sich weniger bei einzelnen Fällen als bei der Übersicht des ganzen Geschlechtes richtig aus.« Noch immer glaubte er, es nur mit einer kleinen Zwischenarbeit zu tun zu haben. Die eigentliche Durchführung sollte Leibgeber erst in dem geplanten Kardinalroman, dem »Titan«, erhalten. Aber schon am Ende des Jahres mußte er einsehen, daß ihm das Werk unter den Händen anschwoll. »Wenn ich die kleinste Schleuse aufziehe, so schießet so viel Wasser zu, daß allzeit mehr Räder in Gang kommen und also mehr gemahlen wird, als ich wollte. – Das körperliche Uhrgehäuse zerspringt, – so viel, daß ich sterbe, ohne mein halbes Ich aus- oder abgeschrieben zu haben.« Mitte Februar 1796 schickte Matzdorff die Autorexemplare des ersten Bändchens, und die Wasser strömten immer noch durch die Schleusen. Im März übersandte er – allerdings lag die Arbeit an den »Biographischen Belustigungen« zum Teil dazwischen – an Otto neue Teile des Manuskripts. »Hier schick’ ich dir Wenig vom Buch und ich werde noch einige Wochen brauchen, bis ich das erreichen und schicken kann, womit die Hauptsache und das Mittelstück vom Titel gerechtfertigt und eine kleine Perspektive auf den Ausgang geöffnet ist. Kurz ich habe noch fünf, sechs Bogen zu der Sache, womit ich das Buch anzuheben gedachte.« Einen Monat später scheint er am Ende. »Etwas mag auf mich mein künftiger ›Titan‹ wirken, aus dem mir Leibgeber mit Glorie wie ein vom Aufgange vergrößerter Stern herüberleuchtet. – Und dieses ›Titans‹ wegen hab’ ich jetzt kaum das Herz, mich Naturschilderungen zu überlassen: dort drinnen sollen sie alle brennen und funkeln, und ich hebe sie auf – es ist aber einfältig… Die Szene mit Natalie in der Fantaisie liegt wie eine sanfte Mondnacht auf mir und ich freue mich, wenn ich einmal in Baireuth die Stätten besuchen werde: ich hätt’ in meinen andern Büchern nur auch mehr meinem Gefühle, das mir solche Szenen vergeblich rein vorhielt, mehr folgen sollen als der Sucht, eine Musaik von böhmischen Steinen zusammenzulegen.« Am nächsten Tage endlich konnte das Ende des Manuskripts an Matzdorff abgehen.
Jean Paul hatte dem verstorbenen Freunde Hermann ein Denkmal errichten wollen, indem er ihn als Helden in den »Biographischen Belustigungen« einführte,. unter seinem vollen Namen und mit einigen seiner Aufsätze als Anhang. Er errichtete dem Freunde ein ragenderes Mal im »Siebenkäs«, indem er aus Ingredienzen seines Wesens die unsterbliche Gestalt Leibgebers mischte. Schon in der »Unsichtbaren Loge« hatte er aus Charakterbestandteilen Hermanns einige der wichtigsten Figuren des Romans gewonnen: den Humoristen Fenk und den am Leben verzweifelnden Ottomar. Von beiden hatte Hermann zu gleichen Teilen. Es war der Zynismus des Realisten, des freien Geistes, der sich keine Schranken setzen ließ und dem die ganze Welt Objekt seiner Forschung bedeutete. Ein ungeheures Über-den-Dingen-Stehen zeichnete ihn aus, und diese Freiheit des Ungebundenen und nicht zu Bindenden trat als souveräner Humor, als freies Spielen mit den Mächten des Lebens in Erscheinung. Indem Jean Paul diese Gestalt als den Humoristen Fenk herausstellte, befreite er sich selbst von dem haltlos Spielerischen, dem Satiriker, der in ihm steckte. Er war Hermanns Wesensverwandter gewesen; kein Ton im Herzen des Freundes, der nicht auch in ihm
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