Saemtliche Werke von Jean Paul
von den allzu willkürlichen Zutaten reinigen. Und doch wird man es nicht gerne tun. Erst wenn man die Romane mit all ihrem Drum und Dran gelesen hat, gewinnt man den Eindruck, eine Welt durchwandert zu haben. Es war nicht durchaus reine Willkür, die Jean Paul zu seinen Zutaten veranlaßte, es war auch der künstlerische Wille, das Tempo seiner Bücher dadurch zu regulieren und ihnen den weltumfassenden Charakter zu geben. Seine Romane sollten Abbilder seines Herzens sein und als solche alle Systeme der Wahrheit einschließen. Zugleich wurde durch die Unterbrechungen das musikalische Wesen seines Gesamtwerks unterstrichen. Tausende von Beziehungen wurden durch die Extrablätter von seinen Gestalten zum Denken und Erleben der Zeit geknüpft. Motive wurden aufgenommen und fallen gelassen und traten an unerwarteter Stelle von neuem hervor. Ja selbst in Werken wie den »Biographischen Belustigungen«, die an sich fast nur ein wirres Durcheinander sind, rundet sich das Ganze immer noch zum Kosmos, zur geordneten Welt, weil, wie Goethe es an Jean Paul rühmt, ein ethisches Band alle Erscheinungen umschlingt. Im übrigen gesteht Jean Paul in seiner Verteidigungsrede den Leserinnen zu, was er ihnen in der Praxis seines Lebens erlaubte: die Satiren zu überschlagen. Nach dieser Einleitung beginnt der eigentliche Appendix: »Die Salatkirchweih in Obersees«.
Man muß einen Kirchweihtag im Fichtelgebirge erlebt haben, um zu wissen, wie genau der Wirrwarr dieser Kirchweih in Obersees der Wirklichkeit abgelauscht ist. Die ersten Eindrücke zu dieser Schilderung mag Jean Paul von den Höfer Jahrmärkten erhalten haben, die sich seiner Kinderseele unauslöschlich einprägten. Wenn die Städte und Flecken und Dörfer von dem bunten Jahrmarktstreiben erfüllt sind, wenn die Bewohner in hellen Scharen von Ort zu Ort pilgern, die Täler in den Marktplätzen zusammenströmen, das ganze Gebirge wie ein jubilierender Karneval erscheint, – wenn von jenseits der Grenze aus den böhmischen Bergen, dem nahen Eger etwa, fremdartige Gestalten herbeieilen, Musikkapellen und Banden, und sich unter das deutsche Volk ein ganz andersartiges Volkstum mischt: dann gewinnt man die Eindrücke, die der Salatkirchweih zugrunde liegen. Vor allem mögen es die Scharen von Bettlern gewesen sein, die immer wieder in solchen Schilderungen Jean Pauls auftauchen und die zu seiner Zeit, bei dem unseligen Zustand des Landes, für das Fichtelgebirge und seine Volksfeste sicher besonders charakteristisch gewesen sind.
Wieder führt sich Jean Paul selbst in die Handlung ein. Der Jurispraktikant Weyermann hat die Gerichtshalterei Obersees bekommen, die der Kaufmann Oehrmann (offenbar der Kammerrat von Oerthel oder sein Ebenbild Röper aus der »Unsichtbaren Loge«) zu vergeben hat. Unter der Maske des neuen Gerichtshalters führt sich Jean Paul bei dem Schloßverwalter von Obersees ein. Aber er erweckt den Verdacht, ein Hochstapler zu sein, und vermag sich nur mühsam herauszulügen. Angeekelt von der eigenen Lüge rennt er hinaus und stürzt sich in das Gewühl der Kirchweih. Eine heitere Liebesgeschichte schlingt sich durch. Der Lehrer und Organist Schnäzler, in manchem eine angedeutete Selbstkarikatur Jean Pauls, liebt die schöne Eva des Schloßverwalters. Schnäzler ist selbst ein Dichter, und schon deshalb schlägt sich Jean Paul auf seine Seite, gegen den Adjunktus Graukern, auf den er noch einen besonderen Haß hat, weil dieser ihn entlarven wollte. Er tritt als Werber für Schnäzler auf und es gelingt ihm, die ein wenig stupide Schloßverwalterstochter ihrem Liebhaber geneigt zu machen. Sie nimmt ihn, aus keinem andern Grunde, als weil ihr gut zugeredet wird. Ein Realismus in der Darstellung des Weiblichen, der in jener Zeit einzig dastehen dürfte.
Zur Hauptperson aber wird der Bettler Zaus, den Jean Paul tot am Wegrande findet. Er zwingt die Bauern, den Bettler zu begraben, und hält selbst am offenen Grabe dieses vom Dasein Zerzausten die Leichenrede. Ein unendlich mühseliges Leben breitet er vor uns aus, eine furchtbare Anklage für alle, die im Reichtum sitzen. Wenn er in seinem nächsten Buch seinen Helden Siebenkäs als Armenadvokaten auftreten läßt, so verdiente er sich selbst mit der Totenrede für den verhungerten Bettler diese Amtsbezeichnung. Über Büchner bis zu Gerhart Hauptmann schwang sich dieses anklagende und verzeihende Ethos Jean Pauls fort, das bald nach der Niederschrift der Totenrede im »Siebenkäs« seinen vollendeten
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