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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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auch in seinem Verächter, vielleicht gerade in ihm. Wie eine Naturgewalt stürmt Leibgeber durchs Leben. Keine menschliche Institution vermag ihn zu fesseln. Er verachtet Frauen und Liebe, kommt und geht wie ein Gewitter. Er hat nie recht jung ausgesehen, sein Gang ist hinkend, sein Herz schlägt unter einer zottigen Bärenbrust. Frei, namenlos, unbekannt muß er leben. Eine kleine Stadt ist ihm ein Greuel, ein Amt eine drückende Last. Er hat keine Bedürfnisse, weder nach Wohlleben noch nach äußeren Ehren. Zum Zeichen der Freundschaft tauschen die Freunde den Namen, und eigentlich ist es auch berechtigt, daß Leibgeber und nicht der heiter stille Armenadvokat den grotesken Namen Siebenkäs führt.
    Diese Gestalt sollte den »Kardinalroman Titan« beleben. Es war eine Vorwegnahme, ihn dem »Siebenkäs« einzufügen, und doch trieb erst diese Figur die Dichtung weiter. Ohne sie wäre der »Siebenkäs« ein artiges Gegenstück zum »Quintus Fixlein« geworden, mit ihr setzte er die große epische Linie des Jean Paulschen Gesamtwerks fort.
    Jean Paul wäre auch gar nicht mehr in der Lage gewesen, eine reine Idylle zu schreiben. Wohl »liebte und verachtete« er das kleinbürgerliche Dasein, aber ihn selbst zog es in die große Welt, seitdem ihm Baireuth sich eröffnet hatte. Auch die Idylle, fühlte er, mußte er von Grund aus überwinden, um zu großen Zielen frei zu werden. Die Idylle war seine Gefahr wie die Satire. Das »Altfränkische« lag ihm im Blut, aber er mußte darüber hinaus, um ein Deuter und Seher der Zeit zu werden. Noch einmal konnte er wohl liebevoll die enge kleine Welt seiner Heimat umfassen, ja er ging in diesem Roman noch weiter zurück als in allen seinen letzten Büchern. Dort hatte er als der kleine Dorfschulmeister gelebt, sich am Kleinen erfreuend und Kleinem hingegeben, eine Winkelexistenz, die ihren eigenen Wert und ihre eigene Würde haben mochte. Diesmal aber ging er in die Zeit seines allergrößten Elends zurück: in die Zeit, da er, von den Mitbürgern verachtet, ohne einträgliches Amt, ohne das Notwendigste zu besitzen, in der kleinen Höfer Stube, zusammengedrängt mit Mutter und Brüdern, seine »Teufelspapiere« schrieb, selbst ein Armer und ein Anwalt der Armen. Einer, dem die allgemeine Not das Herz zerriß, ohne je die Hand zur Hilfe bieten zu können, indes er die Reichen (Kammerrat von Oerthel) am Schweiße der Ärmsten sich mästen sah. Er ging zurück auf die armseligen Gestalten, die ihn damals umstanden hatten: die armen Schullehrer und Landpfarrer und Rektoren, auf die Frauen, die wie seine Mutter in Wirtschaftssorgen ohne Hoffnung zerrieben wurden, auf die heimliche und uneingestandene Feindschaft, die zwischen den Nächsten aus dem zu engen Beieinanderwohnen erwuchs und das Leben mit kleinen Gehässigkeiten vergiftete.
    Seltsam, wie dieses klarste Werk Jean Pauls mißverstanden wurde. Man hielt sich an die »niederländische« Kleinmalerei des ersten Teils, empfand das Mittelstück, das Scheinsterben Siebenkäsens, als geschmacklos und die Vereinigung des Helden mit Natalie als unwahrscheinlich. Eine solche Auffassung hat aber mit dem »Siebenkäs« kaum etwas zu tun. Gewiß griff er noch einmal auf die Jahre seines größten Elends zurück, und unter seiner Malerhand gewann selbst diese Not des kleinen Lebens einen goldenen Schimmer. Aber in erster Linie stieß er diese Zeit von sich ab. »O da ist mir, als wenn ich Hof abschütteln möchte wie ein Erdenleben, um nur den inneren Frieden zu gewinnen«, schrieb er schon im November 1794 an seine Braut, und dieser Satz faßt vielleicht am besten die Stimmung des Romans zusammen. Es ist eine Auferstehungsdichtung, ein Stirb und Werde, das er hier gestaltet hat. Das kleine enge Hofer Dasein abschütteln wie ein Erdenleben! So schüttelt Siebenkäs seines Daseins Enge ab, um in das große Leben hinauszutreten, und er tut es in dem größten Symbol, das es für ein solches »Abschütteln« geben kann: er stirbt und aufersteht als ein neuer Mensch.
    Dieses Stirb und Werde schwingt sich durch Jean Pauls ganze bisherige Dichtung. Schon in der »Bayerischen Kreuzerkomödie« fanden wir den seltsamen Aufsatz »Meine lebendige Begrabung«, in dem er mit einem kaum überbietbaren Zynismus von seinem Scheintod spricht. Hier schon waltet Leibgebers gottverdammendes und doch gottnahes Wesen. Als er den Plan zur »Unsichtbaren Loge« faßte, ergriff ihn an jenem Novemberabend des Jahres 1790 der Gedanke des Todes und der

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