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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Stadtkantore, die dagegen arbeiten, und die wissen, worin reiner Chor- und Mißton sich vom Kammerton zu unterscheiden habe.
    Den Lesern nicht, aber Organisten kann ich zumuten, daß sie wissen, warum bloße Dissonanzen – denn Konsonanzen sind nur unter dem Stimmen der Instrumente zu ertragen – aufs Chor gehören. Dissonanzen sind nach Euler und Sulzer Ton-Verhältnisse, die in großen Zahlen ausgedrückt werden; sie mißfallen uns also nicht wegen ihres Mißverhältnisses, sondern wegen unsers Unvermögens, sie in der Eile in Gleichung zu bringen. Höhere Geister würden die nahen Verhältnisse unserer Wohllaute zu leicht und eintönig, hingegen die größern unserer Mißtöne reizend und nicht über ihre Fassung finden. Da nun der Gottesdienst mehr zur Ehre höherer Wesen als zum Nutzen der Menschen gehalten wird: so muß der Kirchenstil darauf dringen, daß Musik gemacht werde, die für höhere Wesen passet, nämlich eine aus Mißtönen, und daß man gerade die, die für unsre Ohren die abscheulichste ist, als die zweckmäßigste für Tempel wähle.
    Machen wir einmal der herrnhutischen Instrumentalmusik die Kirchentüre auf: so steckt uns zuletzt auch ihr Singen an, und es verliert sich nach und nach alles Sing-Geblök, welches unsre Kirchen so lustig macht, und welches für Kastratenohren ein so unangenehmer Hammer des Gesetzes, aber für uns ein so guter Beweis ist, daß wir den Schweinen ähneln, die der Abt de Baigne auf Befehl Ludwigs XI., nach der Tonleiter geordnet, mit Tangenten stach und zum Schreien brachte. So denk’ ich über Kirchen- oder neudeutschen Schlachtgesang.
    Ende der Extrasilbe über die Kirchenmusik
    Ich hätte den Haarkräusler nicht so lange singen und agieren lassen, wenn mein Held diesen ganzen Sonntag zu etwas anderem zu gebrauchen wäre als zu einem Figuranten; aber den ganzen Tag tat er nichts von Belang, als daß er etwan aus Menschenliebe die alte Appel zwang – indem er ihre Kommoden und Schachteln selber auspackte –, von ihrem Körper, der lieber Schinken als sich anputzte, die gewöhnliche, mit typographischer Pracht gedruckte Schabbes-Ausgabe schon um drei Uhr nachmittags zu veranstalten: sonst lieferte sie solche erst nach dem Abendessen. Die Juden glauben, am Sabbat eine neue Schabbesseele zu bekommen: in die Mädchen fährt wenigstens eine, in die Appeln ein paar.
    Aber warum mut’ ich meinem Helden zu, heute mehr Handlung zu zeigen – ihm, der heute – versunken in die Traum-Nacht und in den kommenden Abend – bewegt durch jedes freundliche Auge und durch die Urnen des weggeträumten Lenzes – sanft aufgelöset durch den stillen lauen Sommer, der an den Rauchaltären der Berge, auf den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem verstummenden Trauergefolge von Vögeln lächelnd und sterbend lag und beim Aufsteigen der ersten Wolke auf dem Laube verschied – Viktor, sag’ ich, der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmütig angelächelt, fühlte, daß er bisher zu lustig gewesen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden schimmernden Augen anblicken, diese noch schimmernder wegwenden und nichts sagen und hinausgehen. Über seinem Herzen und über allen seinen Noten stand tremolando. Niemand wird tiefer traurig, als wer zu viel lächelt; denn hört einmal dieses Lächeln auf, so hat alles über die zergangne Seele Gewalt, und ein sinnloser Wiegengesang, ein Flötenkonzert – dessen Dis- und Fis-klappen und Ansätze bloß zwei Lippen sind, womit ein Hirtenjunge pfeift – reißet die alten Tränen los, wie ein geringer Laut die wankende Lawine. Es war ihm, als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden; sie schien ihm zu heilig und noch immer von geflügelten Kindern geführt und auf Eisthronen gestellt. Da er überhaupt für Le Bauts Gespräche im Reiche der Moralisch-Toten heute keine Zunge und keine Ohren hatte: so wollt’ er im großen laubenvollen Garten dem Stamitzischen Konzert ungesehen zuhören und sich höchstens vom Zufall vorstellen lassen. Sein zweiter Grund war sein zum Resonanzboden der Musik geschaffnes Herz, das gern die eilenden Töne ohne Störung aufsog, und das die Wirkungen derselben gern den gewöhnlichen Weltmenschen verbarg, die Goethes, Raffaels und Sacchinis Sachen wahrhaftig ebensowenig (und aus keinen geringern Gründen) entbehren können als Löschenkohls seine. Die Empfindung erhebt zwar über die Scham, Empfindung zu zeigen; aber er haßte und floh während seiner Empfindungen alle

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