Saemtliche Werke von Jean Paul
wie die kalte Bleikugel im Mund den Durst ablöscht, und die Töne löseten die drückenden Tränen von der vollen Seele los.
Teurer Viktor! im Menschen ist ein großer Wunsch, der nie erfüllt wurde: er hat keinen Namen, er sucht seinen Gegenstand, aber alles, was du ihm nennest, und alle Freuden sind es nicht; allein er kömmt wieder, wenn du in einer Sommernacht nach Norden siehst oder nach fernen Gebirgen, oder wenn Mondlicht auf der Erde ist, oder der Himmel gestirnt, oder wenn du sehr glücklich bist. Dieser große ungeheure Wunsch hebt unsern Geist empor, aber mit Schmerzen: ach! wir werden hienieden liegend in die Höhe geworfen gleich Fallsüchtigen . Aber diesen Wunsch, dem nichts einen Namen geben kann, nennen unsre Saiten und Töne dem Menschengeiste – der sehnsüchtige Geist weint dann stärker und kann sich nicht mehr fassen und ruft in jammerndem Entzücken zwischen die Töne hinein: ja alles, was ihr nennt, das fehlet mir….
Der rätselhafte Sterbliche hat auch eine namenlose ungeheure Furcht, die keinen Gegenstand hat, die bei gehörten Geistererscheinungen erwacht, und die man zuweilen fühlt, wenn man nur von ihr spricht….
Horion übergab sein zerstoßenes Herz mit stillen Tränen, die niemand fließen sah, den hohen Adagios, die sich mit warmen Eiderdunen-Flügeln über alle seine Wunden legten. Alles, was er liebte, trat jetzt in seine Schatten-Laube, sein ältester Freund und sein jüngster – er hört die Gewitterstürmer des Lebens läuten, aber die Hände der Freundschaft strecken sich einander entgegen und fassen sich, und noch im zweiten Leben halten sie sich unverweset. –
Alle Töne schienen die überirdischen Echo seines Traumes zu sein, welche Wesen antworteten, die man nicht sah und nicht hörte….
Er konnte unmöglich mehr in dieser finstern Einzäunung mit seinen brennenden Phantasien bleiben und in dieser zu großen Entfernung vom Pianissimo. Er ging – fast zu mutig und zu nahe – durch einen Laubengang den Tönen näher zu und drückte das Angesicht tief durch die Blätter, um endlich Klotilde im fernen grünen Schimmer zu erblicken….
Ach er erblickte sie auch! – Aber zu hold, zu paradiesisch! Er sah nicht das denkende Auge, den kalten Mund, die ruhige Gestalt, die so viel verbot, und so wenig begehrte: sondern er sah zum erstenmal ihren Mund von einem süßen harmonischen Schmerz mit einem unaussprechlich-rührenden Lächeln umzogen – zum erstenmal ihr Auge unter einer vollen Träne niedergesunken, wie ein Vergißmeinnicht sich unter einer Regenzähre beugt. O diese Gute verbarg ja ihre schönsten Gefühle am meisten! Aber die erste Träne in einem geliebten Auge ist zu stark für ein zu weiches Herz… Viktor kniete, überwältigt von Hochachtung und Wonne, vor der edeln Seele nieder und verlor sich in die dämmernde weinende Gestalt und in die weinenden Töne. – Und da er endlich ihre Züge erblasset sah, weil das grüne Laub mit einem totenfarbigen Widerschein der Lampen ihre Lippen und Wangen überdeckte – und da sein Traum und die Klotilde wieder erschien, die darin unter den blumigen Hügel versunken war – und da seine Seele zerrann in Träume, in Schmerzen, in Freuden und in Wünsche für die Gestalt, die ihr Wiegenfest mit andächtigen Tränen heiligte: o war es da zu seinem Zergehen noch nötig, daß die Violine ausklang, und daß die zweite Harmonika, die Viole d’Amour, ihre Sphären-Akkorde an das nackte, entzündete, zuckende Herz absandte? – O! der Schmerz der Wonne befriedigte ihn, und er dankte dem Schöpfer dieses melodischen Edens, daß er mit den höchsten Tönen seiner Harmonika, die das Herz des Menschen mit unbekannten Kräften in Tränen zersplittern, wie hohe Töne Gläser zersprengen, endlich seinen Busen, seine Seufzer und seine Tränen erschöpfte: unter diesen Tönen, nach diesen Tönen gab es keine Worte mehr; die volle Seele wurde von Laub und Nacht und Tränen zugehüllt – das sprachlose Herz sog schwellend die Töne in sich und hielt die äußern für innere – und zuletzt spielten die Töne nur leise wie Zephyre um den Wonneschlaftrunknen, und bloß im sterbenden Innern stammelte noch der überselige Wunsch: »Ach Klotilde, könnt’ ich dir heute dieses stumme, glühende Herz hingeben – ach könnt’ ich an diesem unvergänglichen Himmelsabend, mit dieser zitternden Seele sterbend vor deine Füße sinken und die Worte sagen: ich liebe dich!« – –
Und als er an ihren Festtag dachte und an ihren Brief
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