Saemtliche Werke von Jean Paul
wollt’ es nie leiden; aber wie berückt er diesen und labt tausend Ohren? So bloß: er frisierte heute hinaus, was noch zu frisieren war (nicht bloß heute, sondern es ging allemal so), und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt’ er so lange, bis der Kantor, auf dem musikalischen Wurstschlitten seßhaft, mit dem Finger in den ersten Akkord der Kirchenmusik einhieb. Dann fuhr er wie ein Sonnen-Strahl schnell ins Chor und mausete dem jungen Altisten sein Pensum weg und sangs dem Kirchensprengel in die Ohren, jedoch unter so viel Jammer und Puffen, als säng’ er sein Manuskript den Rezensenten vor. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der bissige Klavierist dem frisierenden Altisten mit einem spitzwinkligen Triangel von Ellenbogen wütig entgegenstochert, um den fremden Singvogel aus dem Vogelhause des Chors zu stoßen. Da aber der Sänger seinen rechten Arm zum festen Notenpulte seines Textes und den andern zur Streitkolbe machte, wie die an Jerusalem bauenden Juden, welche die eine Hand voll Bauzeug, die andre voll Waffen hatten: so konnte der Perückenmacher, unter fortwährendem Fechten und Musizieren, schon sein möglichstes tun und einiges durchsetzen während des Gottesfriedens der Musik. Aber sobald die Musik den letzten Atem gezogen hatte: so setzte der harmonische Strichvogel und Sturmläufer behend über das Chor hinaus und sann unterwegs tausend Ohren und einem einzigen Ellenbogen nach. Der Kantor konnt’ ihn nicht riechen und nicht kriegen.
Lief er hingegen glücklicherweise mit seinen Schachteln durch ein Dorf, wo gerade Pfarr- und Schulherr und pädagogischer Froschlaich eine taube Leiche umquäkten und umkrächzeten, welches viele noch kürzer eine Leichenmusik nennen: so konnte der Virtuose, ohne Gegenstemmung der Ellenbogen, munter mit zwei Füßen mitten in die Motette hineinspringen – das Trauer-Ständchen, das die Erben dem Toten bringen, bearbeiten – dem Leichenzuge einige Finalkadenzen gratis zuwerfen und doch noch im Dorfe dem Amtmann eine ganz neue Beutelperücke anbieten. –
Unserem Helden machte die Dorfkirchen-Musik das größte satirische Vergnügen. Wir aber hätten wenig davon, wenn ich nicht so vorsichtig wäre, daß ich um die Erlaubnis nur zu einer elenden Extrasilbe – man soll sie kaum sehen – über die Kirchenmusik bettelte.
Elende Extra-Silbe über die Kirchenmusik
Ich sehe allemal mit Vergnügen, daß die Leute in einer Kirchenmusik sitzen bleiben, weil es ein Beweis ist, daß keiner von der Tarantel gestochen ist; denn liefen sie hinaus, so sähe man, sie könnten keine Mißtöne aushalten und wären also gebissen. Ich als profaner Musikmeister setze nur für wenige Kirchen – nämlich für geflickte oder für neue den Einweihlärm – und verstehe also im Grunde von der Sache nichts, worüber ich mich im Vorbeigehen auslassen will; aber soviel sei mir doch erlaubt zu behaupten, daß die lutherischen Kirchenmusiken etwas taugen – auf dem Lande, nicht in den Residenzstädten, wo vielleicht die wenigsten Mißtöne richtig vorgetragen werden. Wahrlich, ein elender, versoffner, blauer Kantor, der in Bravour-Arien sich braun singt und andere braun schlägt – es gibt also zweierlei Bravour -Arien –, ist imstande, mit einigen Handwerkern, die Sonntags auf der Geige arbeiten, mit einem Trompeter, der die Mauern Jerichos niederpfeifen könnte ohne Instrument, mit einem Schmied, der sich mit den Pauken herumprügelt, mit wenigen krampfhaften Jungen, die das Singen noch nicht einmal können, und die doch einer Sängerin gleichen, welche nicht wie die schönen Künste allein für Ohr und Auge arbeitet, sondern auch (aber in einem schlimmern Sinn als die Jungen) für einen dritten Sinn, und mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lungenflügeln und aus seinen eignen holt, ein solcher stampfender Mann ist, sag’ ich, imstande, mit so außerordentlich wenigem musikalischen Gerümpel doch ein viel lauteres Donnern und Geigenharz-Blitzen um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere und mißtönendere Kirchenmusik aus seinem Chor herauszumachen als manche viel besser unterstützte Theater-Orchester und Kapellen, mit deren Wohllauten man so oft Tempel entweiht. Daher tut es nachher einem solchen lauten Manne weh, wenn man sein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und falsch beurteilt. Soll sich denn in alle unsre Provinzialkirchen das weiche leise herrnhutische Tönen einschleichen? – Es gibt aber zum Glück noch
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