Saemtliche Werke von Jean Paul
könnte alles bei ihr sehen, wenn ich wollte, da sie es invitierte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein zusammen. Sie ist ein Weib wie keines, mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich, eine Woldemarin – ihre Fehler kommen nur auf meine Zunge, nicht auf mein Papier. – Ich lege Dir ihren heutigen (inostensiblen) Brief an mich bei, da sie nach Jena ging, um die Krebs-Amputation einer Freundin durch ihre Nähe zu lindern. Er ist ein Rätsel, das ich Dir mündlich löse.«
Am nächsten Tage abends setzt er den Brief fort:
»Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurteil für große Autores ab, als wären’s andere Leute; hier weiß jeder, daß sie wie die Erde sind, die von weitem am Himmel als leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris besteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urteil, das ein Herder, Wieland, Goethe fällt, wird so bestritten wie jedes andere, das noch abgerechnet, daß die drei Turmspitzen unserer Literatur einander – meiden. Kurz, ich bin nicht mehr dumm. Auch werd’ ich mich jetzt vor keinem großen Mann mehr ängstlich bücken, bloß vor dem Tugendhaftesten. Gleichwohl kam ich mit Scheu zu Goethe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde – Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich – jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse – er habe etwas steifes, reichsstädtisches Stolzes – bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herzensnerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich mich ihm etwan im vorteilhaftesten Lichte einer Statue zeigen könnte) – (Ostheim rät mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich ging, ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus (Pallast) frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen Treppen, ein Pantheon voll Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst presset die Brust – endlich tritt der Gott her, kalt, einsilbig, ohne Akzent. Sagt Knebel z. B., die Franzosen ziehen in Rom ein. ›Hm!‹ sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber ohne eine angenehme Farbe). Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner, sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum etc. sofort an, und – man war bei Goethe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharfbestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns – d. h. spielte er uns (sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt mit dem leisen Regengelispel: es gibt nichts ähnliches) – ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von Weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen) die Hand drückte. Beim Abschied tat er’s wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel, wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er gibt nie ein Zeichen der Liebe. 1 000 000 Sachen hab’ ich Dir von ihm zu sagen.
Auch frisset er entsetzlich. Er ist mit dem feinsten Geschmack bekleidet.
Ich kann hier, wenn ich will, an allen Tafeln essen. Ich kam noch zu keinem Menschen, ohne geladen zu sein. Als ich ankam am Tore, wurd’ es ordentlich der Herzogin gemeldet, und am andern Tage wußt’ es jeder. – Ich lebe fast bloß von Wein und englischem Bier. – Die Karaktere ›Joachime, Matthieu (der besonders) und Agnola‹ werden hier für wahre gehalten und gefielen gerade am meisten. Im Klub stritt man, ob Flachsenfingen ein Abriß von Wien oder Mannheim wäre wegen des Lokalen – Wieland war des höhnischen Dafürhaltens, Flachsenfingen liege in Deutschland sehr zerstreuet. –
Ich schicke Dir diese Zeichnungen des Heiligenscheins, den sie hier um meinen kahlen Scheitel führen, darum ohne alle Scham nach Hof, erstlich damit Du es weitererzählest (denn ich werde alles zusammen nur Dir erzählen, der Du mich nie verkannt, und bloß zu sehr geachtet hast, aber (auch aus Ekel an der langen Geschichte) keinem weiter in Hof, wo mir so oft Unrecht widerfuhr, daß ich, wenn Du nicht da wärst, geradezu hier sitzen bliebe). Ich schreibe eilig und ohne Ordnung, vergib es mir, Bruder. Weibliche Bekanntschaften hab’ ich wenig gemacht, wenn ich die Kanzelerin
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