Saemtliche Werke von Jean Paul
Briefen der Humanität schreibt. Sie ist stark, voll, auch das Gesicht – ich will Dir sie schon schildern. Drei Viertel der Zeit brachte sie mit Lachen hin – dessen Hälfte aber nur Nervenschwäche ist – und ein Viertel mit Ernst, wobei sie die großen, fast ganz zugesunkenen Augenlider himmlisch in die Höhe hebt, wie wenn Wolken den Mond wechselweise verhüllen und entblößen. (Ich schere mich um keine Richtigkeit des Ausdrucks aus Mangel an Zeit, ich will Dir bloß viel schreiben.) ›Sie sind ein sonderbarer Mensch‹, das sagte sie mir dreißigmal. Ach, hier sind Weiber! Auch habe ich sie alle zum Freunde, der ganze Hof bis zum Herzog lieset mich. – Ich aß aus Ursachen nicht bei ihr; sie schrieb meine Ankunft dem Knebel (Kammerherrn bei der Herzogin). Um drei Uhr kam ich wieder, und der auch. Er ist ein Hofmann im Äußeren, aber soviel Wärme und Kenntnisse, so einfach. Alle meine männlichen Bekanntschaften hier – ich wollte, diese nicht allein – fingen sich mit den wärmsten Umarmungen an. Du findest hier nichts vom jämmerlich Gezierten in Hof, von der jämmerlichen Sorge um die Mode – ich wollt’, ich hätte den grünen Talar behalten, oder bloß den blauen Stutzrock noch einmal wenden lassen. Er wollte mich zu Herder, und heute mittags zum Essen zu Goethe führen; aber ich blieb bei dem Vorsatz des cœur-à-cœur (wenn ich nämlich jemand zum erstenmal sehe). – (Heute Mittags aß ich allein bei der Ostheim.) Gegen fünf Uhr gingen wir in Knebels Garten: unterwegs fuhr uns Einsiedel entgegen, der mich geradezu beim Kopf nahm und der nur drei Worte sagen konnte, weil er die Herzogin in die Komödie begleiten mußte, nachher aber sogleich wiederkam. Nach einigen Minuten sagte Knebel: ›Wie sich das alles himmlisch fügt, dort kömmt Herder und seine Frau mit den zwei Kindern.‹ – Und wir gingen ihm entgegen, und unter dem freien Himmel lag ich endlich an seinem Mund und an seiner Brust, und ich konnte vor erstickender Freude kaum sprechen, und nur weinen, und Herder konnt’ mich nicht satt umarmen. Und als ich mich umsah, waren die Augen Knebels auch naß… Mit Herder bin ich jetzt so gut bekannt wie mit Dir. Er wollte schon längst an mich schreiben; und als er und seine Frau, die mich herzlich liebt – sie ist eine nur anders modifizierte Ostheim – durch Hof reiseten, wollten sie mich besuchen. Ich wollt’, ich könnte so unverschämt sein, daß ich Dir alles sagen könnte. Er lobte fast alles an meinen Werken, sogar die ›Grönländischen Prozesse‹. – Er sieht nicht so edel aus, wie ich mir ihn dachte; spricht aber so, wie er in den ›Humanitätsbriefen‹ schreibt. Er sagte, so oft er den ›Hesperus‹ gelesen, so wär’ er zwei Tage zu Geschäften untauglich gewesen. An der Abhandlung über die Phantasie gefällt ihm alles. Er drückte mir immerfort die Hand. Und ich sagte immer, da wir alle nebeneinander saßen, ›wenn nur mein Otto da wäre und es hörte‹. (Knebel und Herder wollen mir die berühmtesten Bücher zum Lesen, z. B. den Moniteur mit merkantilischer Gelegenheit schicken.) Herder liebt die Satire unendlich und hat sie, zumal die Ironie, mehr im Munde als den Ernst. Er fragte mich bei den meisten Stellen meiner Bücher um die Veranlassung dazu: er gab mir ein erdrückendes Lob, das Sprechen von Deinem Paul mag etwan, obwohl in Intervallen, fünf Stunden den ganzen Abend gedauert haben. ›Ich bekäme Sündenbezahlung,‹ sagten alle, ›da der Meister und die Horen zu 4,5 Ldor den Bogen abgehen.‹ ›Ich würde jetzt in Deutschland am meisten gelesen; in Leipzig hätten alle Buchhändler Kommissionen auf mich.‹ Wieland hat mich dreimal gelesen, sie bedauerten alle, daß er aus dem Zirkel fehlte. Herder erzählte, daß der alte Gleim den ganzen Tag und die ganze Nacht fortgelesen. Er will mich heute Briefe von Hamann an sich lesen lassen. – Er spricht von Kants System im höchsten Grade – verächtlich. – Von seinen eigenen Werken sprach Herder mit einer solchen Geringschätzung, die einem das Herz durchschnitt, daß man kaum das Herz hatte, sie zu loben: er will nicht einmal die Ideen fortsetzen. ›Das Beste ist, was ich ausstreiche‹, sagt er, weil er nämlich nicht frei schreiben darf, denn er denkt von der christlichen Religion was ich und Du. – Abends aßen wir alle bei der Ostheim und tranken 2erlei Wein und Nigges (ein milderer Bischoff). Sie sind alle die eifrigsten Republikaner. Denke Dir den unter Wein, Ernst, Spott, Witz und Laune
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