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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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blieben hinter Herders Ansprüchen zurück, waren aber doch so hoch, daß sie akzeptiert werden mußten. Der Bruch mit Goethe blieb endgültig. Er wurde für Herders zum kalten, bis zur Niederträchtigkeit herzlosen Egoisten.
    Mag man dieses Urteil in seiner Verallgemeinerung auch unberechtigt nennen, so kann man doch Herder eine gewisse Berechtigung zu dieser Auffassung nicht absprechen. Alles, was von Goethe ausging, wird ihm von jetzt ab verhaßt. »Die Mariannen und Philinen, diese ganze Wirtschaft ist mir verhaßt«, schreibt er, und an anderer Stelle: »Vielleicht an keinem Orte Deutschlands setzt man sich über zarte moralische Begriffe, ich möchte sagen, über die Grazie unserer Seele, in manchem so weit weg als hier, und damit entgeht dem armen Menschen der größte Reiz seines Lebens, und es erklingen sehr falsche Dissonanzen.« Es ist nicht Pastorenmoral, in die Herder sich hier hineinflüchtet, sondern Anklage gegen das Jahrhundert. Auch hier berührt er sich wieder mit Jean Paul, der in der »Unsichtbaren Loge« die donnernde Anklage erhebt: »Und ihr, entsetzlichen Seelen… Was werdet ihr noch aus unserm Jahrhundert machen? . . . und gerade im Jahrhundert eurer Verschönerung vereinigen sich alle Schriftsteller, Künstler und Große zu einem Wald von Giftbäumen, unter denen ihr sterben sollt.« So erscholl seine Klage über das Hinmorden weiblicher Tugend. »Alle Schriftsteller, Künstler und Große«, das ging damals nicht zum wenigsten gegen Goethe. Inzwischen war Goethe durch Moritzens Einfluß bei ihm mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Ja man kann vermuten, daß Goethes und Schillers Gestalten hinter dem Plan seines »Kardinalromans«, des lange gehegten »Titan«, standen und ihn erfüllen sollten. Das Schicksal dieses Romans stand jetzt auf dem Spiel, als er sich Weimar näherte. Noch ahnte er nicht den Bruch zwischen Herder und Goethe, aber die Auseinandersetzung nahte. Würde sein Roman ein »Titan« oder ein »Anti-Titan« werden? Das war die Frage.
     
    Am 9. Juni früh geht Jean Paul, von einem Boten begleitet, der sein Gepäck trägt, von Hof ab. Otto begleitet ihn ein Stück des Weges. In den letzten Tagen ist er bei den verschiedenen Hofer Freunden herumgereicht worden. Herolds gaben ein Mittagessen zu Ehren des Scheidenden. Er nahm es an, da es im Garten stattfand. Einen Termin für sein Eintreffen hatte er der Kalb nicht angegeben. Vom Wetter sollte die Reise abhängen. Die erste Nacht verbringt er in Schleiz. Weil er zu Fuß kommt, räumt ihm der Wirt nur die allgemeine Gaststube zum Übernachten ein. Von dort geht’s nach Jena. »Über den Orlagrund geht keine Schönheit der Welt – ausgenommen die lebendigen, die in doppeltem Sinne darübergehen.« Über Kahla trifft er nachmittags um vier Uhr in Jena ein. Auch dort gibt der Erbprinzwirt dem bestaubten Wanderer nur ein Loch. »Aus dem Ort, wo du so viel Literaturzeitungen bekömmst, schick’ ich Dir nun die illiterarische.« Immer weilen seine Gedanken bei Christian Otto, dem er die Ereignisse jedes Tages mitteilt. Von Jena nimmt er Postpferde. »Auch hab’ ich’s des Kerls wegen getan, der unterwegs keinen Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag, und der auf sieben Tage gemietet nur vier bedurfte.« Aber er will wohl bei seinem Einzug in Weimar nicht wieder wie ein wandernder Handwerksbursche behandelt werden. Am nächsten Tag kann er der Kalb aus dem Gasthof den Zettel schicken: »Endlich, gnädige Frau, hab’ ich die Himmelstore aufgedrückt und stehe mitten in Weimar.«
    Über die folgenden Tage kann es kein anschaulicheres Bild geben als Jean Pauls Briefe selbst. Am 12. Juni, Sonntags, um sieben Uhr morgens schreibt er an Otto über seine ersten Eindrücke:
    »Gott sah gestern doch einen überglücklichen Sterblichen auf der Erde, und der war ich – ach, ich war es so sehr, daß ich wieder an die Nemesis denken mußte, und daß mich Herder mit dem deus averuncus tröstete. – Ich kann mit meinem Schreiben nicht so lange warten, bis ich Dir einen Brief schicke; ich will nur etwas sagen. Gestern ging ich um elf Uhr – weil ihr Einladungsbillett mich zweimal verfehlte – zur Ostheim (es ist die Schwester der Baireutherin und ich glaube fast meine auch). Ich hatte mir im Billett eine einsame Minute zur ersten ausbedungen, ein cœur-à-cœur ( tête-à-tête ). Sie hat zwei große Dinge, große Augen, wie ich noch keine sah, und eine große Seele. Sie spricht gerade so, wie Herder in den

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