Saemtliche Werke von Jean Paul
mich aber nach einem Brief von Goethe. Seine Gestalt ist verworren, hartkräftig, voll Ekstase, voll scharfer schneidender Kräfte, aber ohne Liebe. Er spricht beinahe so vortrefflich als er schreibt. Er war ungewöhnlich gefällig und setzte mich (durch seinen Antrag) auf der Stelle zu einem Kollaborator der Horen um – und wollte mir eine Naturalisazionsakte in Jena einbereden.« –
Jean Paul konnte also mit seiner Aufnahme durch Goethe wie durch Schiller zufrieden sein, ja es bestanden Aussichten, daß die Dioskuren ihn als Dritten in ihren Bund zuließen. Schillers Aufforderung, an den Horen mitzuarbeiten, läßt darauf schließen. Sowohl Goethe wie Schiller fingen an, sich vereinsamt zu fühlen. Der Bruch mit Herder konnte auch an ihnen nicht wirkungslos vorübergehen. In Jean Paul schien ihnen ein Ersatz zu winken, den Verlust an Popularität in Deutschland wieder einzubringen. Vergegenwärtigen wir uns, was zwischen Goethe und Schiller über Jean Paul bisher hin und her geschrieben war.
Am 10. Juni 1795 hatte Goethe das von Jean Paul erhaltene Exemplar des »Hesperus« an Schiller geschickt mit den Worten: »Hierbei ein Tragelaph von der ersten Sorte.« Schiller hatte bereits am 12. Juni geantwortet: »Das ist ein prächtiger Patron, der Hesperus, den Sie mir neulich schickten. Er gehört ganz zum Tragelaphen-Geschlecht, ist aber dabei gar nicht ohne Imagination und Laune, und hat manchmal einen recht tollen Einfall, so daß er eine lustige Lektüre für die langen Nächte ist. Er gefällt mir noch besser als die Lebensläufe.« Goethe schrieb am 18. Juni zurück: »Es ist mir angenehm, daß Ihnen der neue Tragelaph nicht ganz zuwider ist; es ist wirklich schade für den Menschen, er scheint sehr isoliert zu leben und kann deswegen bei manchen guten Partieen seiner Individualität nicht zur Reinigung seines Geschmacks kommen. Es scheint leider, daß er selbst die beste Gesellschaft ist, mit der er umgeht. Sie erhalten noch zwei Bände dieses wunderlichen Werks.«
Inzwischen war der »Hesperus« auch in den andern Kreisen Weimars bekanntgeworden. Am 15. Dezember 1795 schreibt Goethe über das Aufsehen, das dieser Roman bei den Weimarern gemacht hat, an Schiller: »Übrigens sind gegenwärtig die Hundsposttage das Werk, worauf unser feineres Publikum seinen Überfluß von Beifall ergießt; ich wünschte, daß der arme Teufel in Hof bei diesen traurigen Wintertagen etwas Angenehmes davon empfände.« Zwei Tage darauf antwortet Schiller: »Daß in Weimar jetzt die Hundsposttage grassieren, ist mir ordentlich psychologisch merkwürdig; denn man sollte sich nicht träumen lassen, daß derselbe Geschmack so ganz heterogene Massen vertragen könnte, als diese Produktion und Clara du Plessis (von Lafontaine) ist. Nicht leicht ist mir ein solches Beispiel von Charakterlosigkeit bei einer ganzen Sozietät vorgekommen.«
Im Juni 1796 kam Jean Paul dann selbst nach Weimar. Nachdem Goethe ihn durch seinen von Jean Paul geschilderten Besuch kennengelernt hatte, schrieb er dem Jenenser Freunde: »Fast hätte ich vergessen zu sagen, daß Richter hier ist. Er wird Sie mit Knebeln besuchen und Ihnen gewiß recht wohl gefallen.« Das war die Empfehlung, die Jean Paul in der Schilderung seines Besuches bei Schiller erwähnt. Am 22. Juni schreibt Goethe wiederum über Jean Paul: »Richter ist ein so kompliziertes Wesen, daß ich mir die Zeit nicht nehmen kann, Ihnen meine Meinung über ihn zu sagen; Sie müssen und werden ihn sehen, und wir werden uns gern über ihn unterhalten. Hier scheint es ihm übrigens wie seinen Schriften zu gehen; man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief, und niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen.« Den Eindruck, den er von Jean Pauls Besuch empfangen hatte, faßte Schiller in die Worte: »Vom Hesperus habe ich Ihnen noch nichts geschrieben. Ich habe ihn ziemlich gefunden, wie ich ihn erwartete; fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht. Doch sprach ich ihn nur einmal und kann also wenig von ihm sagen.« Goethe gab dann über den seltsamen Gast das Schlußurteil: »Es ist mir doch lieb, daß Sie Richtern gesehen haben; seine Wahrheitsliebe und sein Wunsch, etwas in sich aufzunehmen, haben mich auch für ihn eingenommen. Doch der gesellige Mensch ist eine Art von theoretischem Menschen, und wenn ich es recht bedenke, so zweifle ich, ob Richter im praktischen
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