Saemtliche Werke von Jean Paul
gerne und immer lieber wieder in dein Element, den lieben trauten Kreis, zurückzukehren und uns eine Welt aus deinem Innern darzustellen.«
Man spürt bei diesem Bericht die Feder des gewandten Journalisten, der mit leichter Mühe seine Eindrücke zu Papier bringt und im allgemeinen das richtige Bild trifft, wenn ihm auch die Dämonie einer starken Künstlerpersönlichkeit verschlossen ist. Niemand würde in dieser Beschreibung den Jean Paul wiedererkennen, dessen Persönlichkeit noch stärker auf die verwöhntesten Frauen seiner Zeit wirkte als seine Werke, und doch hat Reichardt richtig gesehen. Nur wenig später sandte Lavater den Porträtisten Pfenninger zu Jean Paul, um für seine physiognomischen Studien eine genaue Unterlage zu gewinnen. Das Bild Pfenningers ist erhalten, und man muß ihm um so größere Bedeutung beimessen, als es jeder rein künstlerischen Absicht fern sich streng an die Wirklichkeit hielt. Lavater schrieb an Pfenninger, als er ihm den Auftrag gab: »Also zeichnen Sie mir ihn im Profile… Ich möchte ganz mathematisch genau die Form und die Zurücklage der Stirn haben – besonders den Umriß des oberen Augenlids. – Hier liegt der Hesperus – dann die Mittellinie des Mundes – mit der Höhle der Unterlippe, wo die Humoristik ihr Rosenbette hat. Messen Sie mir genau – wie in einem Visum und Repertum von geschworenen Visitatoren – die Länge der Perpendikularlinie vom Aug’ zur Lippe – und wie oft die Profilbreite des Mundes sich bis oben an das Auge umschlagen läßt – – alles bestimmt, getreulich und ohne Gefahr.«
Das Bild Pfenningers ist erhalten, aber welch einen andern Menschen zeigt es uns, als wir ihn uns noch vor kurzem unter dem dichterischen Jüngling vorstellen konnten! Schon seit einem Jahr liebte Jean Paul es, von seiner Glatze in seiner selbstironisierenden Art zu sprechen. Auf dem Bilde sehen wir es deutlich: er war über seine Jahre hinaus alt, und wir müssen Reichardt glauben, wenn er von der steifen Haltung und dem in die Höhe geworfenen Kopfe spricht. Die hohe Stirn ist stark zurückgebogen, aber kein blondes Lockenhaar weht über ihr. Eine streng nach hinten gezogene, in einen Zopf endende Frisur. Die Nase sticht spitz nach vorn. Harte Falten liegen um den Mund. Es könnte sein, daß er damals wie der »personifizierte englische Humor« ausgesehen hat. Wir fühlen: dies ist nicht mehr der feurige Jüngling, den wir nach Baireuth und Weimar wandern sahen. Die Probleme des Lebens und Schaffens haben ihn in ihre Walkmühle genommen. Und dennoch ging eine dämonische Kraft von ihm aus, und der Geist muß diese Züge wunderbar belebt haben. »Lächle nicht,« schreibt die Kalb ihm, »Du lächelst zu schön! Die Töne, die Dein Gemüt ohne Worte gibt, sind süßer wie Harmonikaklang – ich will still sein – still.« Das durchgearbeitete Antlitz, die korrekt steife Haltung und dieses berückende Lächeln – ein seltsamer Zwiespalt in der einen Person. Wir können daraus ersehen, daß es nicht kokettierende Sentimentalität ist, wenn Jean Paul immer wieder betont, daß er früh verbraucht ist, daß die Jahre des Elends seinen Körper zu früh ausgezehrt haben. Es war der flammende Geist, der dem müden Körper das letzte an Ausdrucksgewalt abpreßte und jeder begegnenden Seele das Äußerste an Enthusiasmus abnötigte. Er selbst war wie seine Schulmeisterlein Wuz und Fixlein zermahlen worden, indes sich sein Geist noch den »Titan« mit seinem Überschwang der Kräfte abrang. Das dürfen wir bei dem Folgenden nicht vergessen, welchen Anblick er bereits in seinem dreiunddreißigsten Lebensjahr bot.
Die Veröffentlichung der Reichardtschen Aufzeichnungen konnte Jean Paul keineswegs angenehm sein. Aus dem Kreis seiner Freunde kamen mißliebige Äußerungen. Auch Reichardt hatte sehr scharf zwischen Goethes göttlichem Talent und seinem Charakter unterschieden, eine Unterscheidung, die damals allen Gegnern Goethes geläufig war. Goethe selbst wird diese Spitze im Zusammenhang mit Jean Pauls Person nicht gerade erfreut aufgenommen haben. Es sollte sich an Herder wie an Jean Paul schwer rächen, daß sie mit allerhand ephemeren Leuten in eine gemeinsame Parteistellung kamen. Das Publikum gewöhnte sich daran, diese beiden großen Männer im Zusammenhang mit Geistern niederen Ranges wie Gleim, Hermes oder Reichardt zu nennen, mit denen sie kaum etwas zu tun hatten. Besonders nach Äußerungen Herders konnte es den Anschein gewinnen, als ob hier eine im alten
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