Saemtliche Werke von Jean Paul
Vaters den Inhalt seiner Romane zu erzählen pflegte, um sie über ihr trauriges und an Eindrücken armes Leben hinwegzuschwingen. Freudig begrüßt sie den Freund, der zu ihr in den Wagen steigt.
Paulline hat sich inzwischen verlobt, und zwar gleichfalls mit einem Bekannten des Lesers: dem Gerichtshalter Weyermann, dem wir im »Siebenkäs« und in dem Appendix zu den »Biographischen Belustigungen«, der »Salathkirchweih zu Obersees«, bereits begegneten. In Paulline Oehrmann nun findet Jean Paul gewissermaßen zu seiner eigenen Welt zurück, die er gegen den gräzisierenden Kunstrat zu verteidigen hatte. Paulline ist einer jener »unvollkommenen Charaktere«, die nur der Griffel des Humoristen festzuhalten vermag, und eine jener vom Leben Niedergebeugten, die Jean Paul wieder aufrichten, deren Leid er ins Wort erlösen will.
Visavis der glücklichen Braut fährt er dem Kunstrat davon. »Hinter unsern grünen Bergen lag die Wüste der Kinder Israel und vor uns das gelobte Land der sanften Baireuther Ebene.« Seine Gedanken malen das harte Schicksal Paullinens aus, die nun von der unbarmherzigen Hand des Vaters in die des unbarmherzigen Mannes geht und auf deren Blütenträume sich bald der Mehltau der Ehe senken wird. »Du weißt nicht, daß dein schönes Herz etwas Besseres und Wärmeres braucht als Blut und dein Kopf höhere Träume, als die das Kopfkissen beschert – daß die duftenden Blumenblätter deiner Jugend sich nun zu geruchlosen Kelchblättern zusammenziehen, zum Honiggefäße für den Mann, der jetzt bald von dir weder ein weiches Herz noch einen lichten Kopf, sondern nur rohe Arbeitfinger, Läuferfüße, Schweißtropfen, wunde Arme und bloß eine ruhende paralytische Zunge fordern wird… Die Sonne wird für dich ein herunterhängender Ballonofen und Stubenheizer der Welt, und der Mond eine Schusters-Nachtkugel auf dem Lichthalter einer Wolke – der Rhein trocknet in dir zur Schwemme und zum Schwenkkessel deines Weißzeugs ein und der Ozean zum Heringsteich… und ein Universalgenie stellest du dir um nicht viel, aber um etwas gescheuter vor als deinen Eheherrn.« – »Du bist zu etwas Besserem geschaffen, aber du wirst es nicht werden (wofür dein armer Weyermann nichts kann, dem es der Staat selber nicht besser macht). Und so wird der Tod deine von den Jahren entblätterte Seele voll eingedorrter Knospen antreffen, und er erst wird sie unter einen günstigeren Himmelsstrich verpflanzen.« Mit diesen wenigen Sätzen wird die Tragödie des Alltags vor uns entrollt. »O sei nicht so fröhlich, armes Opfer!« ruft er der unter eingebildetem Brautglück erblühten Paulline zu. Überwältigt von dem Leid der menschlichen Kreatur, nimmt er seine Schreibtafel vor und schreibt für Paulline jene Erzählung »Die Mondfinsternis« nieder, die einst aus dem Neujahrsglückwunsch für Renate Wirth Anfang Januar 1791 entstanden war. Wir wissen jetzt: es war das Schicksal Renates, das er in Paulline Oehrmann festhielt. An der Erinnerungssäule des Bindlocher Tales steigen die Fahrenden aus, und er liest Paulline unter dieser »Siegessäule der Marter« einer Braut die kleine Dichtung vor von den drei guten Menschen, die sich über die Erde hinaussehnten und auf dem sanften Mond vereinigt werden zu ewigem Beisammensein.
Erst durch Paullines rührende Gestalt wird die Abrechnung mit Weimar vollständig. Der kalten Formenkunst der beiden Dioskuren stellt Jean Paul den Reichtum an inneren Tragödien, die schweren Erschütterungen des Leids gegenüber, die rings gestapelt sind. Welche unmeßbaren dichterischen Schätze barg allein das Alltagsschicksal einer Paulline Oehrmann! Wie viel harrte hier des lösenden Dichterworts! Durch Liebe die Welt zu begreifen und zu überwinden, das tritt als die innere Mission des Dichters hervor.
Für Jean Paul bedeutete diese Geschichte einer Vorrede einen Abschied. Der »Kardinalroman« erfüllte ihn schon. Ich bin »in den Webstuhl des ›Titan‹ eingekerkert«, schreibt er an Lübeck, den Verleger des »Quintus Fixlein«. Der Welt Goethes und Schillers wollte er ein riesengroßes Abbild seiner Welt entgegensetzen. Die stille Welt des »Siebenkäs« und der Idyllen hatte jetzt in den Hintergrund zu treten. Aber immer blieb sie um ihn, sollte ihn während des Wachsens des »Titans« begleiten und ihn dann wieder in ihre Arme schließen. Ihn, der über allen Kultur- und Geistesproblemen im tiefsten Grunde der »Armenadvokat« blieb.
Abschied von Ho f
Im Herbst kreuzten
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