Saemtliche Werke von Jean Paul
ein, versprach später zu kommen, und ich eilte wieder zu meinem Schreibtische.
»Gegen neun Uhr kam Richter, wie es schien, mit einer Reihe von humoristischen Einfällen ausgerüstet; indes paßte alles, was er sagte, immer sehr gut und witzig auf die augenblicklichen Veranlassungen, und ich ward bald gewahr, daß wirklich eine sonderbar rastlos wirkende Seele in ihm sei, die mit einer ganz eigenen Phantasie alles, was sie berührte, auf eine sonderbare Weise zuspitzte. Sein sonderbares äußeres Wesen setzte mich anfänglich fast in Verlegenheit: er schlurrte in zu weiten Schuhen die Stube auf und ab, mit langem, geradem, fast hintenübergebogenem Rücken und in die Höhe geworfenem Kopfe, dessen kahle Glatze er mit der rechten flachen Hand oft bedeckte; sein ganzes Gesicht sah wie der personifizierte (englische) Humor aus. Über die Sonderbarkeit unseres Zusammentreffens gerade an jenem Orte, unseres Beisammenseins in einem Zimmer, das im Winter auch wieder gewöhnlich zu Konzerten angewandt würde, jagten sich witzige Einfälle und echt sentimentalische Ausdrücke.
»Das Essen kam, er wollte sich nicht zu Tische setzen; er hätte längst gegessen, er wäre keiner Abweichung von seiner gewöhnlichen Diät fähig; in Hof kämen die guten Leute nur abends nach Tische zusammen, um ein lustiges Glas Wein miteinander zu trinken. Wir setzten uns also zum Glase Wein gegeneinander über. Mit dem festen Sitz und der geraden Richtung mit Aug’ in Auge schien mehr Ruhe in sein Wesen zu kommen. Ich brachte ihn auf Weimar, wo er sich in diesem Frühjahr einige Zeit aufgehalten hatte, und nun enthüllte sich immer mehr eine schöne gefühlvolle Seele und ein rein auffassender Geist in ihm. Die treffendsten Urteile über jene merkwürdigen Menschen, die ich seit vielen Jahren zu kennen glaube, und denen der unbefangene Mensch tief in die Seele geblickt hatte, setzten mich oft in Erstaunen. Bei ganz herrlichen Sachen, die er über Goethes göttliches Genie und über dessen moralischen Charakter sagte, fuhr mir durch die Seele, daß er ihn wie ich und Du zusammen beurteilen und damit gerade am richtigsten träfe. Es fiel ihm auf, daß ich eine lebhafte Rührung unterdrückte; er dringt in mich, ihm nichts zu verschweigen, und ich sage ihm ganz unbefangen, ich wünschte in diesem Augenblick, daß mein liebes Weib mit uns wäre und ihren schönen Anteil an unserm Gespräch nähme – und nun stürzen dem Menschen die hellen Tränen aus den Augen; er springt auf, umfaßt mich, weiß sich nicht zu lassen, der schönste poetische Ausdruck einer überströmenden Empfindung ergießt sich aus ihm über die Seligkeit, einen Mann zu sehen, der in solchem Augenblick sich sein Weib zur Seite wünschen kann. – Ich müßte Bogen vollschreiben, um Dir nur einige Begriffe von seinem Enthusiasmus zu geben. – Er läßt mich nicht los, ich muß ihm von Dir erzählen; ich muß ihn etwas aus Deinen Briefen lesen lassen; er will Dir schreiben, gleich auf der Stelle, er muß nach Giebichenstein. – Wahrlich, ich kann mich in diesem Augenblick nicht genug wundern, daß ich die Szene so lange ohne Widerwillen habe ertragen können, und es ist mir der sicherste Beweis, daß sein Enthusiasmus ebenso wahr gewesen ist als die Liebe, die das Wort aussprach. Der ganze Mensch ist mir auch wieder ein Beweis für die alte Bemerkung, daß die verschiedensten Menschen sehr wohl miteinander existieren können, wenn bei beiden nur Wahrheit zum Grunde liegt.
»Beim Scheiden gegen Mitternacht mußte ich ihm zusagen, daß ich heute bei ihm einige Stunden zubringen und dann einige liebe Familien des Orts mit ihm besuchen wollte, in deren Mitte er sein einfach-glückliches Leben verlebt. Und davon komme ich jetzt mit der angenehmsten Rührung und Befriedigung her. Ja, guter lieber Jean Paul, das hat dich zum Menschen gemacht, der du bist, daß du mit solchen lieben, herzigen, rein empfänglichen Menschen in traulicher Liebe lebst; daß du Raum hast in deiner weiten, ungeweißten Bodenstube mit deiner braven alten Mutter und dem jungen wackeren Bruder; daß dir der altväterische Stuhl und Tisch, an dem du vielleicht zuerst dich aufrichtetest und die ersten jugendlichen Züge hinmaltest, noch nicht zu altmodisch geworden; und daß so deine ganze Umgebung dich durch nichts aus dir selber herauszieht, du so in seliger Abgeschiedenheit mit dir selbst wie mit deinem besten Freunde lebst. Wie du in Hof lebst, um jährlich daraus zu verreisen, so reise auch nur stets, um
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