Saemtliche Werke von Jean Paul
ihr sehne – die in jeder weichen Stunde seine Seele besuchte mit so viel Tugend, mit so viel Liebe, daß er so gern all’ sein Blut in seinem Herzen wie in einer Opferschale der Geliebten hingegeben hätte – die aber ach nirgends erschien, nur ihr Bild in jeder schönen Gestalt zusandte, aber ihr Herz ewig entrückte – – o endlich, o plötzlich, o selig schlägt ihr Herz an seinem Herzen, und die zwei Seelen umfassen sich auf immer – – er kann es nicht mehr sagen, aber wir könnens: dieser ist doch glücklich und geliebt….
Guter Emanuel, du vergibst mir den Schmerz der Furcht, daß ich es wohl nie sein werde – Nein, nie! – O ich wäre auch für diese von Gräbern zerstückte Erde vielleicht gar zu glücklich, ich dürfte für ein so junges, mit so kleinen Verdiensten gerechtfertigtes Leben vielleicht ein zu großes Eden bewohnen, wenn meine zu weiche Seele, die schon unter drei frohen Minuten einsinkt, die jeden Menschen liebt und sich mit Kinderarmen ans Herz der ganzen Schöpfung hängt, o die schon durch diesen bloßen Traum der Liebe zu selig wird und überwältigt durch diese Beschreibung – – nein, sie wäre zu selig, eine solche von Wehmut und Menschenliebe längst zerschmolzene Seele, wenn sie einmal nach einem so langen tödlichen Sehnen endlich, endlich – o Emanuel, ich bebe wieder vor Freude, und es ist doch niemals, niemals möglich! – alle ihre Wünsche, ihren ganzen Himmel, so viele Liebe in einer teuern, teuern Seele gesammelt fände, wenn ich vor der großen Natur und vor dem Angesicht der Tugend und vor Gott selber, der mir und ihr die Liebe gab, zur Einzigen, zur Frommen, zur Geliebten – o Gott, wie heißt ihr Name – zur Vorausgeliebten, die ich jetzt im Wahnsinn nennen wollte, weinend sagen dürfte: endlich hat dich mein Herz, du Gute, Gott gibt uns heute einander, und wir bleiben beisammen auf die ganze Ewigkeit. Nein, ich würd’ es nicht sagen, sondern vor Wonne verstummen und sterben.
– Siehe! mir war jetzt, als ging’ eine Gestalt über meine Stube und riefe: Viktor! Ich sah mich um und erblickte meine leere Stube und die abgelegten Sonntagkleider, und jetzt erinnerte ich mich erst, daß ich unglücklich bin und nicht geliebt.
Du aber, unersetzlicher Freund, mißkenne mich nicht; ich schwöre dir, daß ich dir diese Blätter ungeändert gebe, wenn ich auch morgen, wo die Wirbel der heutigen Nacht stiller fließen, alle Änderungen nötig fände. Dein törichter Freund bleibt doch dein ewiger Freund.
S. V. H.«
20. Hundpostta g
Blatt von Emanuel – Flamins Fruchtstücke auf den Schultern – Gang nach St. Lüne
»Armer Sebastian,« – sagt’ ich, da ich das heutige Felleisen aufmachte – »eh’ ichs auf habe, weiß ich schon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer solchen Nacht dich eingeschlossen, um dein verblutetes Angesicht gegen den Trauergarten zuzuwenden – daß du heute diese brennenden Gifttropfen lieber hast als den Wundbalsam, und daß du in den Spiegel schauest, um die stille schuldlose Gestalt, die er dir mit ihren Schnitten zeigt, wie eine fremde zu beweinen. – O wenn der Mensch nichts mehr zu lieben hat, so umfasset er das Grabmal seiner Liebe, und der Schmerz wird seine Geliebte. Vergebet einander den kurzen Wahnsinn der Klage: denn unter allen Schwächen des Menschen ist das die unschuldigste, wenn er, anstatt gleich dem Zugvogel sich über den Winter zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich andern Vögeln vor diesem Winter niedersinkt und dumpf in seinem kalten Grame erstarrt.«
Viktor sargte sich sozusagen an jenem Tage in sein Zimmer ein, das er niemand als einer Tür- und Wandnachbarin der Schmerzen, Marien, öffnete, deren Gestalt ihm so sanft wie eine Abendsonne tat. Jedes andere weibliche Gesicht auf der Straße gab ihm Stiche; und der Bruder der verlornen Klotilde, den er am Fenster sah und heute gern umarmt hätte, lieh der verweinten Erinnerung neue Farben…. Leser! – die Leserin ist von selber billiger – lache nicht über meinen guten Helden, der da keiner ist, wo gerade die Stärke der Seele die Stärke des Schmerzens wird; laß mich es wenigstens nicht hören. Wem der sympathetische Nerve des Lebens, die Liebe, unterbunden oder durchschnitten ist, der darf schon einmal seufzen und sagen: alles kann der Mensch auf der Erde geduldiger verlieren als Menschen.
Und doch führte abends ein Zufall – nämlich ein Brief – alle seine Schmerzen noch einmal durch sein müdes Herz. Ein kleiner
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