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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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einen Kummer, der ihr nicht gesagt war.
    Warum öffnete gerade heute das Schicksal alle Adern seines Herzens? Warum ließ es gerade auf diesen Tag die Silberhochzeit des Stadtseniors und die erste Hochzeit seiner Tochter mit dem Waisenhausprediger treffen? Warum, wenn doch beide Hochzeitfeste auf diesen Tag zusammenfallen sollten, mußten sie bis nach Mitternacht fortwähren, wo sie den armen Viktor in alle Brandstätten seiner Hoffnungen schauen ließen, wo er in einer lichtervollen Stube aus seiner dunkeln die Liebe sah, welche Hände verknüpfte, Lippen zusammendrückte und Augen und Seelen vermischte? – Zu einer andern Zeit würd’ er über den Waisenhausprediger und über zwei Armenkatecheten gelächelt haben; aber heute konnt’ er nur darüber seufzen, und es ist eine sanfte Schönheitlinie an seinem innern Menschen, daß er den armen Menschen das vergönnte, was er entbehrte: »Ach ihr seid glücklich«, sagte er – »o liebt euch recht, presset die klopfenden vergänglichen Herzen heiß aneinander, eh’ sie der Flügel der Zeit zerschlägt, und glühet aneinander in der kurzen Minute des Lebens und wechselt eure Tränen und Küsse, eh’ die Augen und Lippen im Grabe erfrieren – ihr seid glücklicher als ich, der ich das Herz voll Liebe niemand geben kann als den Würmern des Grabes, und auf dessen Sarg ein Tischler die Überschrift, die wie ich mit Erde bedeckt wird, färben soll: ihr guten Menschen, ihr habt mich nicht geliebt, und ich war euch doch so gut!« –
    Jedes glückliche Lächeln, jeder flötende Violinenzug, jeder Gedanke wurde jetzt seinem von Tränen umgebenen weichen Herzen zur harten spitzen Ecke, so wie einer Hand, die sich in Wasser untertaucht, alles hart anzufühlen wird.
    Seine grenzenlose Aufrichtigkeit, seine grenzenlose Erweichung konnt’ er mit nichts befriedigen, als mit einem Briefe an seinen Emanuel, in welchen er seine ganze Seele überströmen ließ.
    »O teurer Geliebter!
    Sollt’ ich denn dirs verbergen, wenn mich Schmerzen übermannen oder Torheiten? Sollt’ ich dir nur meine bereueten Fehler zeigen und nie meine gegenwärtigen? – Nein, tritt her, Teurer, an meine wunde Brust, ich öffne dir das Herz darin, es blute und poche unter der Entblößung, wie es will – du deckest es doch vielleicht mit deiner väterlichen Liebe wieder zu und sagst: ich lieb’ es noch. –
    Du, mein Emanuel, ruhest in deiner hohen Einsamkeit, auf dem Ararat der erretteten Seele, auf dem Tabor der glänzenden: da blickest du sanft geblendet in die Sonne der Gottheit und siehest ruhig die Wolke des Todes auf die Sonne zuschwimmen – sie verhüllt sie, du erblindest unter der Wolke, sie verrinnt, und du stehst wieder vor Gott. – Du liebst Menschen als Kinder, die nicht beleidigen können – du liebst Erdengenüsse wie Früchte, die man zur Kühlung pflückt, aber ohne nach ihnen zu hungern – die Gewitter und Erdbeben des Lebens gehen vor dir ungehört vorüber, weil du in einem Lebens-Traum voll Töne, voll Gesänge, voll Auen liegst, und wenn dich der Tod aufweckt, lächelst du noch über den heitern Traum.
    Aber ach, mehr als ein Gewitter donnert hinein in den Lebenstraum von uns andern und macht ihn ängstlich. Wenn ein höheres Wesen in den Wirrwarr von Ideen treten könnte, der unsern Geist umgibt, und aus dem er seinen Atem holen muß, wie wir in einer aus allen Luftarten zusammengegossenen Luftart atmen – wenn es sähe, welche Nährmittel durch unsern innern Menschen gehen, denen er seinen Milchsaft abgewinnen muß, dieses Gemenge von komischen Opern – Bayles Wörterbüchern – Konzerten von Mozart – Messiaden – Kriegsoperationen – Goethes Gedichten – Kants Schriften – Tischreden – Mond-Anschauungen – Lastern und Tugenden – Menschen und Krankheiten und Wissenschaften aller Art – – wenn das Wesen diese Lebens-Olla-Potrida untersuchte: würd’ es nicht begierig sein, zu wissen, welche widersinnige Säfte dadurch in der armen Seele zusammen gerinnen, und würd’ es sich nicht wundern, daß noch etwas Festes und Gleichförmiges im Menschen bleibt? – Ach wenn dein Freund, Emanuel! bald in einem feinen Speisesaal, bald in einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem großen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald vor dir ist: so macht ihm dieser zweideutige Wechsel der Auftritte Schmerzen und vielleicht Flecken…
    Nein, ich will meinen Emanuel nicht belügen – – O sind denn die Kleinigkeiten und die Steinchen dieses Lebens wert, daß

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