Saemtliche Werke von Jean Paul
Brief von Emanuel – aber keine Antwort auf den erst abgesandten – kam an.
»Mein immer Geliebter!
Ich habe den Tag deines Eintritts in ein neues Lebens-Gewühl erfahren, und ich habe gesagt: mein Geliebter bleibe glücklich – die Ruhe der Tugend baue wie mit einer Brust sein Herz gegen den Frost und Sturm seines neuen Lebens ein – seine Schmerzen und seine Entzückungen seien nicht laut – er trauere sanft und still wie eine Fürstin im sanften Weiß, er genieße sanft und still, und im Tempel seines Herzens spiele die Lust nur wie ein ungehört-irrender Schmetterling in einer Kirche – und die Tugend schwebe vor ihm am höhern Himmel über unserer Sonne und wärme und erhelle und ziehe allmählich sein Herz!
Du willst, aus liebender Bangigkeit für mein entsinkendes Leben, nicht haben, daß ich oft schreibe: so wenig glaubst du, Lieber, meiner Hoffnung. O die ablaufenden Gewichte meiner Maschine fallen langsam und sanft auf das Grab hinauf – dieses Erdenleben kleidet sich in meiner Seele immer schöner an und schmückt sich zum Abschiede – dieser Nachsommer um mich, der wie eine Nebensonne neben dem Augustsommer steht, und der künftige Frühling nehmen mich der Natur schmeichelnd aus den Armen.
So überlaubt, so überblümt der Allgütige die Kirchhofmauer des Lebens, wie wir die Mauer eines englischen Gartens, mit bedeckendem Efeu und Immergrün und gibt dem Ende des Gartens den Schein eines neuen Gesträuchs. –
So steigt schon hier im dunkeln Leben der Geist, wie der Barometer schon unter dem trüben Wetter steigt, und wird den Einfluß des lichtern schon unter den Wolken innen.
– Ich folge aber deiner Liebe und schreibe dir nicht mehr als einmal im Winter, wo ich dir die große Nacht erzähle, in der ich meinem blinden Julius zum erstenmal sagte, daß ein Ewiger ist. – In jener Nacht, mein Geliebter, zogen mich die Entzückung und Andacht zu hoch, und das dünne Leben wollte reißen. Ich blutete lange. Im Winter, wo an die Stelle der Erden-Reize die des Himmels treten , verbiete mir das Gemälde des Sommers nicht.
O mein Sohn! – ich mußte dir ja schreiben, weil meine Freundin Klotilde klaget, daß sie zum neuen Jahre aus der grünen Laube der Einsamkeit auf den drängenden Marktplatz des Hofes gezogen werde – ihre Seele ist dunkel von Trauer und streckt die Arme nach dem stillen Leben aus, das von ihr genommen wird. Ich weiß nicht, was ein Hof ist – du wirst es wissen, und ich beschwöre dich, erlöse meine Freundin und lenke die Hand ab, die sie aus St. Lüne ziehen will. Wenn du es nicht kannst: so verlasse am Hofe die geliebte Seele nicht – sei ihr heißester Freund – ziehe die Bienenstacheln der Erdenstunden aus ihrem milden Herzen. – Wenn kalte Worte wie Schneeflocken auf diese Blume fallen: so schmelze sie der Hauch der Liebe zu Tränen, die du rinnen siehest – Wenn über ihr Leben ein Gewitter aufsteigt: so zeig ihr den Engel, der auf der Sonne steht und über unsere Gewitter den Regenbogen der Hoffnung zieht – O dich, den ich so liebe, wird meine Freundin auch so lieben, und wenn mein Freund ihr sein sanftes Herz, sein weiches Auge, seine Tugend, seine von der Natur und von dem Ewigen bewohnte Seele aufdeckt: so wird er meine Freundin vor sich glücklich werden sehen, und das erhabne Angesicht, das vor ihm in Tränen und Lächeln und Liebe zerfließt, wird immer in seinem Herzen bleiben.
Emanuel.«
Siehe, da trat in dieser glühenden Minute die erhabne Gestalt, die er gestern gesehen, wieder vor sein Herz mit den wehmütig lächelnden Lippen und mit den Augen voll Tränen; und als die Gestalt vor ihm schweben blieb und schimmerte und lächelte, so stand seine Seele vor ihr wie vor einer Verstorbenen auf, und alle Wunden fingen wieder unter dem Erheben an zu bluten, und er rief: »So weiche denn nie aus meinem Herzen, du erhabne Gestalt, und ruh’ ewig auf seinen Wunden!« – Die Trostlosigkeit, die Ermattung und der Schlaf überhüllten seinen Geist, so wie seinen letzten Gedanken, nächstens nach St. Lüne wieder zu gehen und ihre Eltern zu bereden, sie nicht an den Hof zu zwingen…
Der lange Schlaf des Todes schließt unsere Narben zu, und der kurze des Lebens unsere Wunden . Der Schlaf ist die Hälfte der Zeit, die uns heilt. Der erwachte Viktor, dessen Fieber der Liebe gestern durch die Schlaflosigkeit so sehr zugenommen, sah heute, daß sein Schmerz ungemäßigt war, weil seine Hoffnung unmäßig gewesen: – anfangs hatt’ er gewünscht –
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