Saemtliche Werke von Jean Paul
wir darum krumme Gänge wählen, wie die Minierraupe durch die Ästchen ihres Blattes sich zu Krümmungen zwingen läßt? – Nein, alles, was ich gesagt habe, ist wahr; aber ich hätt’ es nicht gesagt, wenn nicht andre Schmerzen mich auch auf jene führten; und doch hättest du es mir, du unschuldig-kindlich-erhaben-trauender Lehrer, geglaubt. Ach, du hältst mich für zu gut… o es ist ein weiter ermüdender Schritt von der Bewunderung zur Nachahmung! – Jetzt aber blick in mein geöffnetes Herz!
Seitdem ich hier im Totenhaus meiner kindlichen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheitjahre geblühet und abgeblühet haben, vielleicht mit zu vielen Träumen der Vergangenheit umhergehe; – und noch mehr: von dem Tage an, wo du meinem Herzen den Reiz zum Fieber-Schlage auf mein ganzes Leben gegeben, seitdem du mir das Leben aufgedeckt, worin sich der Mensch zerblättert, und den dünnen spitzigen Augenblick, auf dem er so schmerzhaft steht, seit jener Abschied-Nacht, wo meine Seele groß und meine Tränen unerschöpflich waren, rinnt eine ewige Wunde in mir, und der Seufzer einer Sehnsucht, die nichts zu nennen weiß als Träume und Tränen und Liebe, liegt wie eine stockende Ader beklemmend und verzehrend in meiner Brust – – Ach, ich lache noch wie sonst, ich philosophiere noch wie sonst, aber mein Inneres sieht nur der Geliebte, dem ichs jetzt entblöße.
O Schicksal, warum schlugst du in den Menschen den Funken einer Liebe, die in seinem eignen Herzblut ersticken muß? Ruht nicht in uns allen das holde Bild einer Geliebten, eines Geliebten, wovor wir weinen, wornach wir suchen, worauf wir hoffen, ach und so vergeblich, so vergeblich? – Steht nicht der Mensch vor der Brust eines Menschen wie die Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie diese sich heiser vor einem toten flachen Bilde darin, das er für die Schwester seiner klagenden Seele hält? – Warum frägt uns denn jeder schöne Frühlingabend, jedes schmelzende Lied, jede überströmende Freude: wo hast du die geliebte Seele, der du deine Wonne sagst und gibst? Warum gibt die Musik dem bestürmten Herzen statt der Ruhe nur größere Wellen, wie das Geläute der Glocken die Ungewitter, anstatt zu entfernen, herunterzieht? Und warum ruft es draußen an einem schönen stillen hellen Tage, wenn du über das ganze aufgeschlagne Gemälde einer Landschaft siehest, über die Blumen-Meere, die auf ihr zittern, über die herabgeworfnen Wolkenschatten, die von einem Hügel zum andern fliehen, und über die Berge, die sich wie Ufer und Mauern um unsern Blumenzirkel ziehen, warum ruft es da denn unaufhörlich in dir: ›Ach, hinter den rauchenden Bergen, hinter den aufliegenden Wolken, da wohnt ein schöneres Land, da wohnt die Seele, die du suchst, da liegt der Himmel näher an der Erde‹? – Aber hinter dem Gebirge und hinter dem Gewölke stöhnt auch ein verkanntes Herz und schauet an deinen Horizont herüber und denkt: ›Ach, in jener Ferne wär’ ich wohl glücklicher!‹
Sind wir denn alle nicht glücklich – – Bejah’ es nicht und sage nicht zu mir, Emanuel, daß im Winter dieses Lebens gerade die wenigen warmen Sonnenblicke, die ihn unterbrechen, den bessern Menschen wie Gewächse zersprengen und zugrunde richten – sage nicht, daß jedes Jahr etwas von unserm Herzen wegstoße, und daß es wie das Eis immer kleiner werde, je weiter es schwimme im Strome der Zeit – sage nur nicht, daß die irrende Psyche, wenn sie auch ihr zweites Selbst in ihrem Gefängnis höre, doch nie in seine Arme kommen könne – – Aber du hasts schon einmal gesagt:
›In zwei Körpern stehen wie auf zwei Hügeln getrennt alle liebende Seelen der Erde, eine Wüste liegt zwischen ihnen wie zwischen Sonnensystemen, sie sehen einander herübersprechen durch ferne Zeichen, sie hören endlich die Stimmen über die Hügel herüber – aber sie berühren sich nie, und jede umschlingt nur ihren Gedanken. – Und doch zerstäubt diese arme Liebe wie ein alter Leichnam, wenn sie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert wie eine Begräbnislampe, wenn sie aufgeschlossen wird.‹
Sind wir denn alle nicht glücklich? –
Bejah’ es nicht! – Ach der Mensch, der schon von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele rief, die mit seiner eignen in einem Herzen aufwuchs – die in alle Träume seiner Jahre kam und darin von weitem schimmerte und nach dem Erwachen seine Tränen erregte – die im Frühling ihm Nachtigallen schickte, damit er an sie denke und sich nach
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