Saemtliche Werke von Jean Paul
Dichters, die auch heute noch, nach mehreren Perioden des großen deutschen Romans, neu wie am ersten Tag sind. In dem »Fragment über die deutsche Sprache« hat er den Rationalismus, der seine ersten Versuche einer eigenen Orthographie bestimmte, von Grund aus überwunden. Hier ist er ganz jener deutsche Dichter geworden, der aus dem Sprachgut des Volkes neue Wendungen und Verbindungen an die Oberfläche des Schriftdeutschs hob. »Unsre Sprache schwimmt in einer so schönen Fülle, daß sie bloß sich selber auszuschöpfen und ihre Schöpfwerke nur in drei reiche Adern zu senken braucht, nämlich der verschiedenen Provinzen, der alten Zeit und der sinnlichen Handwerkssprache.« Daß er diese Schöpfwerke in Bewegung gesetzt hat, zeigt der Reichtum seiner eigenen Sprache.
Den Programmen angehängt sind »Drei Vorlesungen in Leipzig«. Hier ist der systematische Aufbau eines theoretischen Werkes verlassen, und Jean Paul ergeht sich in freiem Schweifen seiner Phantasie über literarische Fragen seiner Zeit. Auch diese drei Vorlesungen sind Fundgruben ästhetischer Einsicht, und hier springt es ganz besonders ins Auge, daß man nicht ohne Schaden Jean Paul aus dem Bilde unserer klassischen Epoche einfach fortgelassen hat. Wieviel vertiefter ist hier die Satire gegen die Aufklärung und ihr Organ, die Allgemeine deutsche Bibliothek Nicolais, als in der Polemik der romantischen Schule! Und wie treffend ist die stilistische Untersuchung der Schillerschen Lehrgedichte! Eine »kurze Nachschrift oder Nachlese der Vorlesung über Schiller« beschließt die erste oder Misericordias-Vorlesung. »Seine eigentliche romantische Tragödie ist weniger die von so vielen Gemeinheiten der Menschen und des Lebens umschattete ›Jungfrau von Orleans‹ als ›Wallenstein‹, worin Erde und Sterne, das Überirdische (nämlich der Glaube daran) und alles große Irdische gleichsam zwischen Himmel und Erde die Blitze ziehen und laden, welche tragisch auf die Seelen niederfallen und das Leben erschüttern.« Welch ein Abstand der Reife in dieser kurzen Bemerkung zu den noch heute gültigen Kommentaren!
Die zweite oder Jubilate-Vorlesung schließt mit einer Nachlese über die »Dichtinnen«. So bezeichnet Jean Paul nach dem Sprachreformer Wolke, dessen Eigenheiten er mehr und mehr annimmt, die Dichterinnen. (Da »Dichterin« eigentlich »Frau eines Dichters« bedeutet.) In dem dem Aufsatz zugrunde liegenden Studienheft heißt die Aufschrift »Jüdinnen«. Jean Paul wendete sich also offenbar an die jüdischen Dichterinnen des Berliner romantischen Kreises, gewissermaßen an eine Art von Titaniden. Die dritte, die Kantate-Vorlesung, endet in den bereits erwähnten Hymnus auf Herder, auf dessen noch frisches Grab Jean Paul diesen duftenden Ehrenkranz niederlegte. Nicht ohne Absicht sind diese drei Nachlesen oder Vorlesungen gegeneinandergestellt. Schiller, Titaniden, Herder. Noch einmal wurde also auch hier der Ideenkreis des »Titan« durchschritten oder wenigstens angedeutet. Wie anders sollte Jean Paul auch sein Werk ausklingen lassen als mit dem hymnischen Panegyrikus auf den angebeteten Freund! Nie hat ein Genius Schöneres über einen andern Genius geschrieben. Die Vorlesung ist eingekleidet in ein Gespräch mit einem schönen Jüngling, der Herder mit den geistigen Waffen Schillers angreift. Ob der Jüngling Schiller selbst sein soll, erscheint zweifelhaft. Jean Paul läßt einmal durchblicken, daß es sich um eine Gestalt aus seinen Romanen handle. Wie er Victor, den Helden des »Hesperus«, oftmals in späteren Gesprächen auftreten läßt, so kann er hier das gleiche mit Albano im Auge gehabt haben, und es ist nicht einmal so abwegig, wenn er dem stolzen Jüngling eine Kunsttheorie in den Mund legt, die an Schillers »ästhetische Erziehung des Menschen« erinnert. Das aber ist nebensächlich neben dem Hauptinhalt des Gespräches. Hier wird Herders Gestalt mit allen ihren glänzenden Eigenschaften, aber auch mit ihren Begrenzungen noch einmal liebevoll umfaßt. »Der edle Geist… wurde von entgegengesetzten Zeiten und Parteien verkannt: doch nicht ganz ohne seine Schuld; denn er hatte den Fehler, daß er kein Stern erster oder sonstiger Größe war, sondern ein Bund von Sternen, aus welchem sich dann jeder ein beliebiges Sternbild buchstabiert… . Menschen mit vielartigen Kräften werden immer, die mit einartigen selten verkannt; jene berühren alle ihres Gleichen und ihres Ungleichen, diese nur ihres Gleichen.« Wieder klingt das
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