Saemtliche Werke von Jean Paul
solle ein Schriftsteller gewonnen werden, der die Geschichte des Erben aufschreibt. Für jedes Kapitel solle dieser Autor ein Stück aus dem Kunst- und Naturalienkabinett des Erblassers erhalten. Als dieser Autor wird natürlich J. P. F. Richter ausgewählt. Nach den ihm zufallenden Stücken der Kabelschen Sammlung benennt er die einzelnen Kapitel, etwa »Bleiglanz« oder »Katzensilber aus Thüringen«. Die Testamentsszene ist zugleich das erste Kapitel des Romans, die Antwort des Autors auf die ehrenvolle Aufforderung des Testamentvollstreckers das zweite. Im dritten Kapitel » Terra miraculosa Saxoniae « macht uns der Autor mit einer Dichtung des Universalerben bekannt, die zugleich ein Kabinettstück Jean Paulscher Kleinkunst ist, wie sie uns den Helden in seiner Liebe für das idyllische Landpfarrerleben vorführt. »Das Glück eines schwedischen Pfarrers« ist der Aufsatz betitelt und etwa mit den Farben von Jean Pauls Konjekturalbiographie ausgeführt. Wir fühlen: wenn Walt die verschiedenen Stationen seines Erbganges hinter sich hat, dann kann ihm wohl das ländliche Glück zuteil werden, das er hier als einen unerfüllbaren Traum aufgezeichnet hat.
Das eigenartige Testament hat wie ein Lauffeuer die Stadt durchmessen. Mancher junge Mann sattelt ein Pferd, um nach Elterlein zu reiten und den Erben zu sehen. Er ist aber immer auf die Felder oder in die Berge gelaufen. Der General von Zablocki, der ein Rittergut im Dorfe Elterlein hat, läßt seinen Verwalter in die Stadt kommen, um ihn über den Erben auszufragen. In Haslau ist gerade ein reisender Flötenspieler van der Harnisch angekommen, den viele für den Erben halten, da dieser ja Harnisch heißen solle. Der Wirt zum weichen Krebs erzählt seinen Gästen, daß der Schulz in Elterlein tatsächlich Harnisch hieße. Er hätte zwei Söhne. Der eine wäre ein Spitzbube und im vierzehnten Jahre mit einem Flötenspieler, wie dieser Herr van der Harnisch, durchgegangen. Über den zweiten könne der Herr Kandidat Schomaker, der ja Schulmeister im Dorfe Elterlein sei, die beste Auskunft geben. Der Schulmeister ist in der Tat gerade anwesend und berichtet über den sagenhaften Erben, der sein früherer Schüler wäre. Er sei edel von Gesinnung und mache vortreffliche Gedichte, die Walt selbst Streckverse nenne, die ihrer Natur nach aber Polymeter wären. Bei diesen Worten fängt der reisende Flötenspieler Feuer. Denn er ist niemand anders als der einst seinen Eltern davongelaufene Zwillingsbruder Walts, selbst Quoddeusvult, kurz Vult genannt, und er ist nach Jahren wieder in die Heimat gekommen aus Liebe zu dem Bruder. Wie man sieht hatte Jean Paul hier einen seiner eigenen Brüder im Auge, dem er nun im Roman die eine Hälfte des eigenen Wesens gab.
Zwei Brüder und sogar Zwillingsbrüder, beide Repräsentanten der zwei verschiedenen Naturen Jean Pauls selber, und beide zugleich Ausdruck der beiden miteinander unvereinbaren Seiten des deutschen Wesens. Walt: blond, versonnen, gutmütig und schwerfällig, eine rennende, schmale, jubelnde Figur, wie er beschrieben wird, ganz jener Kandidat Richter, der durch die Berge von Töpen und Schwarzenbach irrte. Vult: mit schwarzem Haar und schwarzen Augen, ungebärdig, händelsüchtig, pockennarbig und stämmig. Vult hat sogar gewisse Roquairolzüge, die Jean Paul wohl seinem Freunde Thieriot entnahm, zu denen er aber auch bei sich selbst das Vorbild fand. Walt repräsentiert das reine Dichtertum Jean Pauls, Vult seinen Humor, sein freies Schweifen, seine boshafte Satire. So haßt Vult den Adel, die Schauspieler und die Ehe, während Walt voller Ehrfurcht zu diesen Institutionen aufschaut.
Vult besucht sein Heimatdorf, dem er als Knabe entlaufen ist. Voller Grimm denkt er an seine Kindheit im Hause des strengen Vaters und der beschränkten Mutter zurück. Hier begegnet uns Jean Pauls eigene Kindheit in einem andern Licht, wie er sie gewiß auch des öfteren angesehen hat und wie sie in seiner Selbstbiographie darzustellen ihm die Waltische Pietät verbot. Vult kommt gerade, ohne sich zu erkennen zu geben, in Elterlein an, als Walt der damaligen Sitte gemäß in seinem Elternhause das juristische Staatsexamen ablegt. Bei dieser Gelegenheit erfährt er auch von dem Testament des Herrn van der Kabel. Vult, der in einem Baume versteckt Zeuge dieses Vorganges ist, beschließt sofort, dem unpraktischen Bruder zu helfen und ihn glücklich durch die Gefahren der einzelnen Bestimmungen hindurchzulancieren. Bald kann er sich
Weitere Kostenlose Bücher