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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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dem Bruder eröffnen. Walt reitet am nächsten Tage nach Haslau. Es ist jener Ritt, der erste und letzte, den Jean Paul zu seiner Prüfung vor dem Baireuther Konsistorium als Mulus unternahm. Vult weiß es einzurichten, daß er dem Bruder unterwegs begegnet. In dem »Wirtshaus zum Wirtshaus« treffen die Brüder zusammen, und auf einem Abendspaziergang zu dem Kirchhof gibt sich Vult dem Bruder zu erkennen. Seliges Jubilieren erfüllt diese Szene. Wie aber hat sich Walt auch nach einem Freundesherzen und nach der großen Welt gesehnt, die sich ihm jetzt auftut! Gerade am Tage vor seinem Examen hatte er eine Begegnung, die wie ein herrlicher Auftakt zu einem Leben voll Freiheit und Reichtum ist. An einem Fichtenwäldchen nahe dem Dorf fand er eine Kutsche und unweit davon einen »bejahrten Mann mit kranken Augen, der die schöne Gegend im Sonnenuntergang ansah.« Niemand anders als Herder ist mit diesem Mann gemeint, der ja einst durch Hof fuhr und, wie er Jean Paul bei dem ersten Zusammentreffen in Weimar erzählte, beinahe ausgestiegen wäre, um den jungen Dichter, der so schwärmerische Briefe an ihn geschrieben, zu besuchen. Seitdem hatte Jean Paul sich immer wieder dieses Zusammentreffen, das so viel für ihn bedeutet haben würde, ausgemalt. In den »Flegeljahren« lieh er seinem Helden dieses Erlebnis, das so nahe an ihm vorbeigegangen war. Walt hatte an der Ähnlichkeit mit veröffentlichten Kupferstichen sogleich den großen Mann erkannt, der hier als »der deutsche Plato« bezeichnet wird.
    In seliges Entzücken versetzt es ihn nun, daß dieser bedeutenden Begegnung mit dem Abgott der eigenen Seele sogleich die schicksalsvolle mit dem lange ersehnten und vermißten Bruder folgt. Einen Abend und die Nacht verleben die Brüder in der ersten Freude ihres Wiedersehens. Am nächsten Vormittag kommt der Vater die Chaussee entlang gegangen und nimmt den jungen Notarius nach Haslau mit, während Vult, um dem Vater nicht zu begegnen, verschwunden ist. Walt steigt bei dem Kaufmann Neupeter ab, wo er eine kleine Wohnung gemietet hat. Dann muß er auf das Rathaus gehen, um sich dort den Miterben vorzustellen. Von dem Bürgermeister werden ihm die einzelnen Bestimmungen der Erbschaft noch einmal vorgelesen. Er glaubt, allen Anforderungen leicht nachkommen zu können. Noch immer in Seligkeit über das Leben, das sich ihm aufgetan, über die Erbschaft, die ihm winkt, über die Zukunft und die Gegenwart richtet er sich in seinen Zimmern bei Neupeter häuslich ein. Die Wohnung ist mit dem scheußlichsten Rumpelzeug bestellt, er aber hält die Einrichtung für zu reich und bequem. Während er noch damit beschäftigt ist, seine Habe, die ihm nachgefahren worden, unterzubringen, tritt Vult in das Zimmer.
    Die wenigen miteinander verlebten Stunden haben schon den ganzen Gegensatz der beiden Brüder ans Licht gebracht. Vult ist ein Filou und Menschenkenner und -verächter. Um zu einem in Haslau geplanten Konzert größeren Zulauf zu haben, hat er ein Inserat aufgesetzt, in dem er bekannt gibt, daß er schwer augenkrank ist, und er wird noch mehrere Inserate folgen lassen, um schließlich das Konzert als Blinder zu geben. Walt kann kaum seinen Unmut über diese Lügen zurückhalten, aber mit brüderlicher Liebe sieht er über diese »Narben des Reiselebens« hinweg. Die Brüder haben verabredet, einen gemeinsamen Roman zu schreiben, den sie »Hoppelpoppel oder das Herz« nennen wollen. Vult offenbart sich als der Verfasser der »Grönländischen Prozesse«, und Jean Paul zeigt hier also deutlich, welche Seite seines Wesens er durch Vult verkörpert wissen will. Freudig macht sich Walt an die Arbeit an dem Roman, dessen poetische und ernste Teile er übernommen hat, während Vult die satirischen und humoristischen Bestandteile schreiben will. So beginnt das Haslauer Leben für Walt mit herrlichen Aussichten. Zugleich ist es das erste Stadium seines Erbganges, den er begonnen. Nach den Bestimmungen soll er abwechselnd bei den Erben wohnen und ihnen zu Diensten sein und außerdem eine Zeitlang das Notariat ausüben. Er ahnt noch nichts von den schweren Gefahren, von denen er umgeben ist. Vult, der gerissene, warnt ihn.
    So selig auch Walt über den wiedergefundenen Bruder ist, so ist seine Sehnsucht nach einem wirklichen Herzensfreund durch den Bruder noch keineswegs befriedigt. So sehnte sich einst auch der junge Leipziger Student über die Freundschaft der Oerthel und Hermann hinaus nach engeren und höheren Bindungen, und die

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