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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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seines Schaffens. Und doch fühlte er bereits den Widerriß zwischen Ernst und Humor. Mitten in seinem Wesen tat sich ein Erdspalt auf, die Welt klaffte auseinander. Es war Abgrund im Wesen seines Volkes, den er deutlich spürte. Zwei Gewalten gingen in ihm einander an. Ein Dämon zwang ihn, den Gesang seiner Darstellung irgendeines bizarren Einfalls halber zu unterbrechen. So stark war dieser Dämon, daß er ihn selbst den »Titan« mit Purzelbäumen zu umpflanzen zwang, und er konnte sich nicht anders retten, als daß er den vier ernsten Bänden satirische Anhänge gab, um wenigstens die Einheit dieser tragischen Begebenheiten zu retten. Beide Mächte waren gleich stark in ihm. Mochte der liebende Ernst sich allmählich in schwerem Ringen bei ihm durchsetzen, so mußte er doch immer wieder in das kalte Bad der Satire untertauchen, zum Schaden des Ganzen, wie er selbst deutlich fühlte. Das virtuosische Spiel mit dem glänzenden Einfall; die freie Unendlichkeit, die das liebevoll gehegte Endliche verschlang, – um diesen Zwiespalt kam er nicht herum. Wir verstehen jetzt, daß er erst diese Partien der »Vorschule der Ästhetik« hinter sich haben mußte, ehe er die »Flegeljahre« vollenden konnte, in denen dieser Zwiespalt zum Schicksal wird. Es war kein Zurückgleiten in die unproblematische Welt seiner früheren Idyllendichtung, es war im Gegenteil das Hochreißen dieser anscheinend so idyllischen Welt in die Höhe seiner tiefen und fast verzweifelten Fragestellung. Auch hier, wie im »Titan«, handelte es sich um die katastrophale Spannung innerhalb des deutschen Wesens. Das aber war jetzt das Große an dem neuen Werk, noch über den »Titan« hinausgehend: daß er diese Probleme in ganz unproblematisches »Dasein« hineinprojizierte, daß er sie nicht auf ihre letzte Formel, aber auf ihr letztes und schlichtestes Sein zurückführte; keine geistigen Gegensatzwelten aufbaute, sondern einfach das Leben zweier Brüder darstellte, von denen der eine, Walt, eine innerliche, besinnliche Dichternatur, der andere, Vult, ein schweifender Virtuose ist. Beide Brüder suchen ineinander zu schmelzen in dem richtigen Gefühl, daß sie nur in Lebensgemeinschaft das Leben meistern können, daß jeder für sich etwas entbehren muß: Walt die Beherrschung der alltäglichen Kleinigkeiten, Vult die tiefe Liebe zu allem Menschlichen. Wie die Brüder um diese ideale Lebensgemeinschaft ringen, wie sie zusammenziehen, um ganz füreinander zu leben, ja sogar ein einziges Buch miteinander zu schreiben, das ihre Doppelnatur zur Einheit binden soll, – wie sie sich dem ungeachtet doch immer weiter voneinander entfernen und schließlich auseinandergehen, – das ist der Inhalt dieses merkwürdigen Romans, der ein humoristischer ist gerade dadurch, daß er die tiefe Verlorenheit des Humors in dieser endlichen Welt zur Darstellung bringt, und ein heilig ernster gerade dadurch, daß er die komischen Seiten eines unbeholfenen und ausgelieferten Dichtertums aufzeigt.
    So stellt sich dieser Roman, von allen Jean Paulschen der einfachste und eingängigste, im Grunde als der komplizierteste und problematischste heraus. Er wurde niedergeschrieben, als der Dichter schon die »Levana«, dieses »deutscheste« seiner Werke, unter dem Herzen trug. Und diese beiden Bücher: »Flegeljahre« und »Levana«, gehören zueinander. In ganz unproblematischer Freiheit geben sie die letzten, wieder schlicht und einfach gewordenen Resultate eines ganzen problematischen Daseins.
    Gegen den humoristischen, lebenauflösenden Einfall ist der Roman gewendet. Aber er strotzt von den bizarrsten Einfällen eines sich überschlagenden Humors. Man kennt die Freude Jean Pauls an komischen Situationen. Er wurde nicht müde, solche Situationen zu erfinden und für alle Fälle in seinen Studienbüchern bereitzustellen. Es ist das Erbe der englischen Humoristen, die auf ihn frühzeitig Eindruck machten, einen Eindruck, der durch das ganze Leben fortwirkte. Jean Paul liebt es, mit einer solchen komischen Situation mitten in die Handlung hineinzuspringen und sie langsam von diesem Schnittpunkte aus aufzurollen. (Im Gegensatz zu E. T. A. Hoffmann, der meistens harmlos und alltäglich beginnt und erst allmählich den Leser in die Schlingen seiner immer krauser werdenden Phantasie lockt.) – Der Beginn der »Flegeljahre« ist ein Meisterstück in der Erfindung einer solchen Situation. Ihr Geheimnis ist, daß sie nicht nur an sich von überwältigender Komik ist, sondern

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