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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Weltanschauungsgegensätze in sich, in denen die Gegensätze der Zeit inbegriffen waren. Vult, der schweifende Humorist, verkörperte doch nicht nur Jean Pauls zweites, das humoristische Ich, im Gegensatz zu Walt, der reinen Dichternatur in ihm, sondern in gewissem Sinne waren hier wiederum Zeittypen gegeneinandergestellt. Eine starke, ja eine tragische Spannung der Zeit lag dieser Zweiteilung zugrunde. Walt und Vult verkörperten die zwei Seiten Jean Paulschen Wesens, aber sie waren doch wieder im Sinne des »Titan« auch »einkräftige« Gestalten, zum Untergang bestimmt. Zwei Brüder, sich aufs schönste ergänzend, sich gegenseitig hebend und steigernd, kämpfen sie den ganzen Roman hindurch um harmonische Vereinigung. Sie suchen das Glück harmonischen Zueinandergehörens und müssen schließlich auseinandergehen, jeder den andern seinem Schicksal überlassend. Der Riß, der durch das deutsche Volk geht und der Jean Paul wie keinem zweiten in ganzer Breite aufgegangen war, dokumentierte sich in diesem vergeblichen Ringen der Brüder um ihre Liebe. In dem persönlichen Zwiespalt der eigenen Natur hatte Jean Paul den Zwiespalt der Zeit und seines Volkes eingefangen. Der im Heimatboden Wurzelnde und die heimische Scholle Verklärende auf der einen Seite, der Entwurzelte und frei Schweifende auf der andern Seite, – dieser Gegensatz faßte den Zwiespalt deutschen Wesens noch tiefer und hoffnungsloser als jener Gegensatz der Weltanschauungen, wie er im »Titan« zutage getreten war. Hier verfing sich uraltes germanisches Schicksal, das zwischen Liebe zur Scholle und zwischen grenzenlosem Schweifen umherirrt und nicht die eigene Gestalt zu finden vermag. Hinter dem Gegensatz der beiden Brüder schwingen diese unvereinbaren Gegensätze der deutschen Natur in der Tiefe mit. Das macht den Zauber des Werks aus, und gerade je weniger die Bedeutung dieses Gegensatzes bewußt wird, um so unbegrenzter und allgemeingültiger wird er empfunden.
    Dieser Gegensatz ist ganz in das Schicksal der Brüder eingegangen, und dieses Schicksal wiederum hält Jean Pauls eigene geistige Entwickelung umschlossen. Walt und Vult verkörpern die zwei Seiten seines Wesens und seiner dichterischen Produktion: die ernste und die humoristische. Beide hatten um die Seele des aufwachsenden Dichters gerungen. Vielleicht wäre Jean Paul geradeswegs auf der Leipziger Universität, an seinen Jugendroman »Abälard und Heloise« anknüpfend, solch ein innerlicher, das alltägliche Dasein verklärender Dichter wie Walt geworden, wenn ihn nicht jene geistige Bewegung ergriffen hätte, die damals in Deutschland die herrschende war: der Rationalismus.
    Schon im Beginn unseres Buches haben wir hervorgehoben, daß man gewöhnlich den deutschen Rationalismus zu eng faßt. Er hatte im Grunde seines Wesens nicht jenes spießbürgerliche, dünkelhafte Moment in sich, das man ihm heute beilegt und unter dem man ihn heute zu umfassen meint. Immerhin standen Männer wie Lessing in seiner Front. Im Grunde bedeutete Rationalismus die uneingeschränkte Herrschaft der Vernunft, bedeutete Aufklärung die Loslösung der menschlichen Institutionen von den Banden des historisch Gewordenen, des Blutes, der Rasse. Rationalismus war eine Weltbewegung, die ihre Wurzel in dem sich auflösenden spätrömischen Kaiserreich hatte. Nach Deutschland verpflanzt, fiel der Aufklärung auch hier die Rolle zu, die geschichtlichen Bindungen aufzulösen und den Geist an die Stelle des Blutes und der Rasse zu setzen. Es handelte sich um die Auflockerung alten historischen Bodens im guten wie im schlimmen Sinne. Geist stand hier gegen kleinliche und egoistische Hemmung, freies Schweifen gegen die Gebundenheit der Scholle, ein idealistischer Menschheitsbegriff gegen Volk und Landschaft. Dieser Gegensatz enthielt bereits den Zwiespalt, unter dem der junge Jean Paul in Leipzig und später litt. Europäertum und heimische Landschaft, Geist und Liebe, Losgelöstheit und völkische Gebundenheit kämpften um seine Seele, und in letzter Zuspitzung: Humor und dichterische Verklärung. Wie waren diese Mächte früher in der mittelalterlichen deutschen Seele miteinander verbunden gewesen! Der Dichter an der Schwelle des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert konnte sie nicht mehr miteinander verschmelzen. Er fühlte ihre in der Tiefe liegende gemeinsame Wurzel. Wohl gelang es ihm, beide noch hier und dort ineinanderströmen zu lassen. Das Lachen mit der Träne im Wappen war sogar die eigentliche Domäne

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