Saemtliche Werke von Jean Paul
erreichbaren Höhe emporgerissen haben, um sie mit diesem starken fragenden Ton abzuschließen. Wie er einst dem Schluß der »Unsichtbaren Loge« die nicht mehr auflösbare Katastrophe anhängte. Vielleicht fragen wir vergebens nach dem Endzweck dieser magischen Unterredung mit Kain. Wahrscheinlich preßte Jean Paul in diesen Schluß alles zusammen, was er überhaupt noch geben wollte, wissend, daß die Darstellung hier ein für allemal abriß und zu Ende war, und daß er nichts mehr darüber hinaus geben konnte noch wollte.
Wir wiesen darauf hin, daß der »Komet« nur ein Teil dessen ist, was Jean Paul als sein letztes komisches Werk herausstellen wollte. Nachdem er den Plan des »Papierdrachen« aufgegeben hatte, nahm er sich vor, wenigstens den Roman nach Art des »Titan« mit allem möglichen humoristischen Beiwerk zu behängen. Einige »Ernste Ausschweife« hatte er dem ersten Bändchen angehängt, die zwanzig Kapitel der folgenden beiden Bände sollten jedes seine »Enklave« erhalten. Aber auch hierzu kam es nicht mehr. »Aber Verschieben und Verdicken des Buches zugleich – und manches Traurige sonst – verhindern mehr als drei zu geben«, heißt es in der »Entschuldigung« des Anhangs. Aber es gab eigentlich auch nur zwei Enklaven. Beide knüpfen noch einmal an eine lange zurückliegende Schaffensperiode Jean Pauls an. Die erste gibt einige Ausführungen über die Person des Zuchthauspredigers Süptitz, der hier ähnlich wie der selige Rektor Freudel in seinem »Klaglibell« mit der Tücke des Objekts ringt. Die zweite Enklave ist »Des Kandidaten Richter Leichenrede auf die Jubelmagd Regina Tanzberger in Lukasstadt«. Mit dieser Leichenrede nimmt Jean Paul von seiner Menschendarstellung Abschied. Noch einmal wird er hier zum Anwalt der Armen, begreift wie in der Leichenrede beim Begräbnis des armen, erfrorenen Invaliden und Bettlers Saus in der »Kirchweih zu Obersees« das Leben einer armen und unscheinbaren Person und legt um ihr Haupt den Kranz des Leidens und der Hoffnungslosigkeit. So schließt sich der Ring. Der »Armenadvokat«, als der Jean Paul in die Dichtung eintrat, behält das letzte Wort. Unter allen Großtaten, die er verrichtete, rann unaufhörlich der Strom der Liebe zu den Armen und Vertriebenen. Mochte er alle Welten des Geistes durchwandert haben, bis zum Schluß blieb sein Herz den Erschütterungen des bloßen Daseins und dem Schrei der Kreatur offen. Wie ein heiliges Wahrzeichen steht die Leichenrede für die Magd Regina Tanzberger am Ende dieses gewaltigen Torsos »Der Komet«.
Letzte Jahr e
Schon im März 1819 schrieb Jean Paul: »Ich fühle, was Alter und Vergehen ist, . . . die alte Dichterwelt ist mir untergesunken; ich gehöre nicht zu ihr, denn ich war ihr Schüler, aber ich gehöre auch nicht zur neuen, sondern ich stehe und bleibe allein.« So fühlte er sich zwischen die Zeiten gestellt. Als er begann, kam er aus einer Zeit, die bereits untergesunken war. Zwei Jahrzehnte lang hatte er sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens mit der Kurve der Gegenwart berührt. Jetzt war sein Leben wieder abgebogen und trieb der Unendlichkeit zu, indes eine neue Zeit ihn nur noch von fern grüßte. Was in der Welt vorging, berührte ihn nur noch an der Außenseite. Sich von der Gegenwart neu erfüllen zu lassen, blieb ihm versagt. Die Partien des »Komet«, die den Nerv der Zeit bloßlegen sollten, wurden nicht mehr geschrieben. Der Schmerz über den Tod seines Sohnes ließ den Strom, der sich noch einmal in die Lande ergießen sollte, vor der Zeit und plötzlich versiegen. Die europäischen Probleme und das Problem einer deutschen staatlichen und geistigen Verwirklichung waren nicht gelöst worden. Der »Reichskörper« war für lange Zeit endgültig auseinandergefallen, die »Reichsseele« nicht aus den Stürmen der Zeit wiedergeboren worden. Nach zwei siegreichen Kriegen stand man in einem ungeheuren Zersetzungsprozeß. Noch im »Titan« hatte Jean Paul die Zeit in ihrer Gesamtheit in ein einheitliches Werk von geschlossener Wucht bannen können. Jetzt aber klaffte die Welt auseinander. Auf der einen Seite setzte sich die Romantik in einen gesteigerten Mystizismus um, auf der andern Seite zeigte die Tat Karl Sands die politisch überhitzte Stimmung, die sich der studentischen Jugend bemächtigte. Rationalismus und Pietismus, Menschheitsidee und seelische Verinnerlichung, in der klassischen Epoche der deutschen Dichtung für einige Jahrzehnte ineinandergeschmolzen, trieben
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