Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
werden, beschleunigten sie ihre Schritte so sehr, wie es bei der herrschenden Dunkelheit möglich war. Das Wasser rechts und die Felsenwand zur linken Hand, gingen sie immer südwärts, bis nach ungefähr einer Stunde der Canon eine Wendung nach Osten machte. Über dem dadurch gebildeten Winkel erschien zu ihrer rechten Hand und zu ihrer Überraschung der Mond am Himmel, nach welchem empor sich ein freier Blick dadurch öffnete, daß von dieser Seite ein Neben- in den Hauptcanon mündete. Droll blieb stehen und sagte: »Halt! Hier müsse mer überlege, wohin mer uns wende wolle, nach ‘rebber oder nach ‘nebber.«
»Darüber kann’s gar keenen Zweifel geben,« meinte Frank. »Wir müssen in das Nebenthal.«
»Warum?«
»Weil mit absoluter Konsekration anzunehmen is, daß die Roten im Hauptcanon bleiben werden. Verschtecken wir uns in den Nebencanon, so ziehen sie an uns vorüber, und wir können uns dann früh mit obligatorischer Hypnologie an ihre hintersten Fersen heften. Meenste nich?«
»Hm, der Gedanke is nich übel, zumal der Mond grad über dem Seitenthale schteht und uns den Weg beleuchtet.«
»Ja, Luna schtrahlt mir Trost ins Herz und küßt mir die brausenden Schtröme meiner Thränen aus dem vor Wut vertrockneten Gemüte. Folgen wir ihrem süßen Schtrahle! Vielleicht führt uns der traute Schein an eenen Ort, wo wir uns gut verschtecken können, was in unsrer imponderabeln Situation die Hauptsache is.«
Sie sprangen über das Wasser und drangen in den Seitencanon ein, in welchem jetzt kein Wasser floß, doch gab es Anzeichen genug, daß zu einer andern Jahreszeit die ganze Sohle des schmalen Thales ein Wasserbett bildete. Ihre Richtung war jetzt genau westlich. Sie mußten tief in den Canon eindringen, um nicht von den Indianern doch entdeckt zu werden. Wohl eine halbe Stunde lang waren sie demselben gefolgt, als sie plötzlich, auf das angenehmste überrascht, stehen blieben. Die Felswand zu ihrer Rechten hörte nämlich plötzlich auf, um mit einer von Norden kommenden Wand eine scharfe Ecke zu bilden. Da lag nun vor ihnen nicht etwa freies Terrain, sondern Wald, ein wirklicher Wald, wie kein Fremder ihn hier hatte ahnen können. Über nur wenigem Unterholz wölbten sich die Wipfel so dicht, daß das Licht des Mondes nur an einzelnen Stellen durchzudringen vermochte. Es war der Wald des Wassers, in welchem die Utahs ihr Kriegslager aufgeschlagen hatten.
Die Senkung, welche er füllte, zog sich genau von Norden nach Süden, parallel mit dem nicht viel über eine halbe Stunde entfernten Hauptcanon. Zwischen diesem letzteren und dem Walde gab es zwei Verbindungswege, zwei Seitenthäler, ein nördliches, welches der »große Wolf« benutzt hatte, und ein südliches, durch welches Droll und Frank jetzt gekommen waren. Diese beiden von Osten nach Westen gehenden Nebenthäler bildeten mit dem Hauptcanon und dem Walde ein Rechteck, dessen innere Fläche aus dem hohen, stundenlangen Felsenblocke bestand, in welchen die Gewässer sich ihre senkrechten und mehrere hundert Fuß tiefen Wege eingefressen hatten. »Een Wald, een Forscht, mit richtigen Büschen und Beemen, als ob er von eenem königlich sächsischen Oberförschter angelegt worden wäre!« sagte Frank. »Besser konnten mersch gar nich treffen, denn das gibt een Verschteck, wie’s im Hauptbuche schteht. Meenste nich?«
»Nee,« antwortete die Tante Droll. »Dieser Wald kommt mer verdächtig oder gar beinahe färchterbar vor. Ich trau’ ihm nich.«
»Wieso denn und warum denn? Denkste etwa, daß da Bären ihr nächtliches Difficil offgeschlagen haben?«
»Das weniger. Bären sind grad nich ze färchte, sondern andre Kreature, welche aber genau ebenso gefährlich sind.«
»Was denn für welche?«
»Indianersch.«
»Das wäre dumm; das wäre freilich dumm!«
»Es sollt mich freue, wenn ich mich irre thät’, aber meine Gedanke werde wohl de richtige sein.«
»Willste wohl die Gewogenheet haben, mir diese Gedanken logisch zu perturbieren?«
Die beiden standen an der Felsenecke, wo es Schatten gab, und hielten die Augen scharf auf den vom Monde beschienenen Waldesrand gerichtet. Dabei fragte Droll: »Wer wird wohl besser wisse, daß hier een Wald is, wir oder die rote Kerls?«
»Die Indianer.«
»Werde se ebensogut wisse wie wir, daß mer sich im Walde am beste verschtecke kann?«
»Natürlich.«
»Habe ich dir nich schon erklärt, daß Indianer in der Nähe sein müsse?«
»Ja, denn bei ihnen hat der »große Wolf« sich Hilfe
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