Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
kam, mit Hilfe eines Feuerbrandes nach den Spuren der Vermißten zu suchen. Man wußte ja die Stelle, an welcher sie gelegen hatten.
Ein harziger Ast diente als Fackel. Bei ihrem Scheine entdeckte man, daß die beiden Knaben sich heimlich in den Wald geschlichen hatten. Die Fackel verlöschte, und der Vater Jaguar, Geronimo und Anciano, welche diese Untersuchung vorgenommen hatten, standen im Dunkeln. Sie riefen wiederholt in den Wald hinein, doch ohne eine Antwort zu bekommen.
»Welch eine Unvorsichtigkeit!« meinte der Vater Jaguar fast zornig. »Ich habe bei unsrer Ankunft gesagt, daß es hier Jaguars geben kann. Wie nun, wenn sie einem solchen in die Klauen fallen! Sie haben ihre Gewehre zurückgelassen, können also gar nicht schießen.«
»Unvorsichtigkeit?« meinte Anciano. »Hauka ist nicht unvorsichtig. Er weiß stets, was er thut und warum er es thut. Und daß er seine Waffen nicht mitgenommen, beweist nur, daß er sie für überflüssig oder hinderlich gehalten hat.«
»Überflüssig sind sie in einer solchen Nacht niemals,« bemerkte Geronimo.
»Aber hinderlich,« fiel Anciano ein. »Hinderlich sind sie beim Gehen durch den Wald, bei einem heimlichen Schleichen an den Feind, bei – –«
»Beim Schleichen an den Feind?« unterbrach ihn der Vater Jaguar. »Das ist’s, das ist’s! Die verwegenen Knaben wollen ein Abenteuer haben, welches ihnen das Leben kosten kann. Wir müssen sofort aufbrechen, um das zu verhindern.«
»Das Leben kosten? Wieso? Vermuten Sie denn, wo sie sind?«
»Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es sogar. Schaut einmal da rechts über den See hinüber! Da gibt es eine Art Dämmerschein. Da brennt ein Feuer. Das haben die Knaben gesehen, und in ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit sind sie hinüber, um einmal so zu thun, als ob sie Männer seien.«
»Ja, dort gibt’s ein Feuer,« stimmte Anciano bei. »Es ist wirklich möglich, daß sie hinüber sind. Aber wenn dies der Fall ist, so brauchen wir uns nicht zu sorgen. Mein Hauka ist außerordentlich vorsichtig. Ich kann ihm vollständig vertrauen.«
»Das weiß ich freilich auch. Er ist erfahrener und vorsichtiger als mancher erwachsene Mann; heute aber hat er Anton mit, für dessen Wohlergehen ich zu haften habe, und – –«
Er hielt inne. Sie hatten während dieses Gedankenaustausches den Lagerplatz wieder erreicht, und soeben ließ sich unweit von demselben ein heftiges Pferdegetrappel vernehmen. Dann sah man zwei Gestalten, welche, aus dem Finstern tretend, sich dem Feuer mit raschen Schritten näherten. Es waren die beiden Vermißten.
»Sie suchen uns? Da sind wir,« rief Anton mit lachendem Gesichte dem Vater Jaguar entgegen, während der Inka still an die Seite seines Anciano trat, als ob es ihm gar nicht einfalle, sich für die Hauptperson des letzten Ereignisses zu halten.
»Ja, da seid ihr! Gott sei Dank, das sehe ich! Aber wo seid ihr denn gewesen?«
»Drüben bei den Abipones.«
»Bei den Abi – – – ? Es sind also welche da drüben?«
»Ja.«
»Und da habt ihr es gewagt, ohne meine Erlaubnis – – –«
»Sechs Gefangene zu befreien und eine ganze Herde von Pferden zu kapern,« fiel eine Stimme ein.
Der Vater Jaguar drehte sich um und erblickte den Sprecher, welcher jetzt auch hinzugetreten war. Er trat einen Schritt zurück und rief aus, indem er die Stirn leicht in Falten zog:
»Sie, Lieutenant Verano? Wie kommen Sie an die Zwillingsquelle?«
»Wie ich überall hinkam, wo ich gewesen bin, zu Fuße oder im Sattel, Señor.«
»Sie wissen, daß ich auf meine Frage eine andre Antwort erwartete. Ich will also jetzt lieber eine zweite Frage thun: wohin werden Sie von hieraus gehen?«
»Wieder hinüber zu den Abipones, um sie zu züchtigen. Natürlich begleiten Sie mich mit Ihren Leuten. Es darf keiner von diesen Hunden am Leben bleiben!«
»Sie finden meine Begleitung so sehr natürlich? Ich nicht.«
»Es ist ja selbstverständlich, daß Sie mir beistehen müssen.«
»Selbstverständlich? Müssen? Ich sage Ihnen, daß ich niemals muß. Aber wen haben wir denn noch da?«
Sein Gesicht heiterte sich auf. Er sah den »Harten Schädel« kommen, welcher schnell auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und in ehrfurchtsvollem Tone, aber schlechtem Spanisch antwortete:
»Ich bin es, Señor. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen. Sie wissen das, ohne daß ich es Ihnen sage. Nun Sie hier sind, brauchen wir uns nicht zu fürchten.«
»Vor wem?«
»Vor den
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