Säule Der Welten: Roman
größer. Das Abkommen, das sie geschlossen haben … Die Kräfte, mit denen sie es geschlossen haben … Nun, ich sage nur, am Ende wird Virga selbst unser Spielball sein.«
In Venera keimte ein hässlicher Verdacht. »Haben diese Kräfte auch einen Namen? Vielleicht … ›Künstliche Natur‹?«
Wieder zuckte Margit selbstzufrieden die Achseln. »Darüber spricht eine Dame nicht.« Ihre Züge verhärteten sich. Sie streckte die Hand aus. »Gib ihn mir! Jetzt! Wir haben viel zu tun, und du vergeudest meine Zeit.«
Unter Veneras Füßen erzitterte das Dach. Hinter der Rauchwand flimmerte Spyre wie ein erlöschender Traum.
Sie war so nahe daran gewesen: über genügend Macht zu verfügen, um sich am Piloten von Slipstream für den Tod ihres Gatten zu rächen. Und über genügend Reichtum, um sich irgendwo niederzulassen und ein unabhängiges Leben zu führen. Vielleicht war sie sogar dabei, ihren Rachedurst zu überwinden. Vielleicht hätte sie mit ihren neuen Freunden hierbleiben können, im Stammsitz der Buridans in Klein-Spyre. Seit sie diese Welt mit ihrer barocken, traditionsverhafteten, introvertierten
Bevölkerung betreten hatte, waren diese Möglichkeiten immer in Reichweite gewesen. Sie hätte nur zuzugreifen brauchen.
Und Margit hatte Recht: sie konnte immer noch gehen. Sie hatte den Schlüssel, und wenn sie ihn gebrauchte, hätte sie Macht und Reichtum im Überfluss. Gewiss, sie müsste sofort Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz ergreifen, sonst würde der Rat versuchen, ihn ihr wieder abzunehmen. Aber mit Sartos und Bryces Hilfe wäre das sicher zu schaffen. Vielleicht würde Spyre überleben, wenn sie die Rotation noch rechtzeitig abbremsten und bei geringerer Schwerkraft die nötigen Reparaturen durchführten. Buridan, ihren Sitz im Rat, die Macht - alles war noch zu haben. Sie brauchte nur die Gefangenen zu opfern, die vor ihr standen und sie beobachteten.
Die Venera Fanning, die vor wenigen Wochen in Garth Diamandis’ Bett aufgewacht war, wäre dazu fähig gewesen.
Sie griff langsam in ihre Jacke und holte den schmalen weißen Stab heraus, der schon so viel Leid verursacht hatte - und sicher noch viel mehr verursachen würde. Schritt um Schritt verringerte sie den Abstand zwischen sich und Margits ausgestreckter Hand. Venera hob den Arm, Margit beugte sich herab, aber Venera weigerte sich, ihr in die Augen zu schauen.
Selene Diamandis hob den Fuß und versetzte Margit einen Tritt ins Gesäß .
Die ehemalige Botanikerin fiel auf Venera und riss sie mit sich zu Boden. Nun zog Selene ihrerseits eine Pistole und richtete sie auf den Mann, dessen Waffe Garths Ohr berührte. »Vater, spring!«, rief sie.
Margit fauchte und schmetterte Venera die Faust gegen das Kinn. Die Schmerzexplosion war nichts gegen die Krämpfe, die Venera gewöhnlich an dieser Stelle peinigten, deshalb zuckte sie nicht einmal mit der Wimper, sondern schnappte sich Margits Handgelenk, und beide wälzten sich auf dem Boden und entfernten sich von der Plattform.
»Waffen runter!«, rief Selene. Venera sah flüchtig, wie Männer und Frauen verwirrt den Weg frei machten, als sie und Margit auf die Dachkante über dem Innenhof zurollten. Niemand machte Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen - alle Soldaten hätten sofort geschossen, wenn jemand sie oder Margit angefasst hätte.
Margit rammte Venera den Ellbogen ins Gesicht. Veneras Kopf flog nach hinten. Der Innenhof geriet verkehrt herum in ihr Blickfeld: ein Inferno.
»Das Rot macht sich gut auf den Bäumen, findest du nicht?«, murmelte Margit und schlug wieder zu. Venera war benommen und fing sich nicht schnell genug. Plötzlich stand Margit über ihr und richtete die Pistole auf sie.
»Den Schlüssel«, sagte sie, »oder du stirbst.«
Ein Schatten fiel über sie. Margit blickte auf und fragte: »Was …?«, und dann warf Moss sich auf sie, und sie schwebten gemeinsam vom Dach. Binnen eines Lidschlags waren sie lautlos im Rauch verschwunden.
Niemand sprach ein Wort. Venera lag auf den Knien, starrte ins Feuer und begriff, dass sie wie alle anderen auf das Ende wartete: auf einen Schrei, ein Krachen oder sonst ein Zeichen, dass Margit und Moss aufgeschlagen waren. Doch sie warteten vergebens. Nur das trockene Knistern der Flammen war zu hören. Endlich
hustete jemand, und das brach den Bann. Jemand reichte Venera den Arm, sie nahm ihn und stand auf.
Samson Odess hatte ihr geholfen. Ein paar Schritte weiter riss Garth Diamandis seine Tochter in die Arme, während die letzten
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