Säule Der Welten: Roman
endgültig entschwebte. Alle schrien auf und schwenkten die Arme. Venera hob den Blick von einer Erdspalte und sah gerade noch, wie der schwarze Turm sein Spinnennetz von Trägern um sich zog, als werfe er sich einen Mantel über die Schultern. Dann sank er würdevoll und majestätisch durch den klaffenden Riss im Boden und entfernte sich immer weiter, bis nur noch blauer Himmel zu sehen war.
Venera sah Bryce an. Der zuckte die Achseln. »Sie haben gewusst, dass das passieren konnte. Ich habe ihnen Anweisung gegeben, wenn sie abstürzten, sämtliche Kopien des Buches und sämtliche Scheine den Winden zu überlassen. Die Saat der Demokratie an Virgas Himmel auszustreuen. Ich hoffe, dass sie diese Aufgabe in den ersten Minuten davor bewahrt, den Verstand zu verlieren; danach sind sie vielleicht imstande, sich um ihre eigene Rettung zu kümmern.«
Der Turm würde wie ein Pfeil über den Himmel schießen und dabei rasch auseinanderbrechen. Die Teile würden zu Geschossen werden und konnten den Häusern und Farmen der benachbarten Prinzipalitäten schwere Schäden zufügen. Wenn Spyre selbst schließlich zerfiel, würden größere Trümmer noch schlimmere Verwüstungen anrichten. Das war tragisch; aber Buridans neue Bürger und die Männer und Frauen aus Bryces Organisation würden schon bald durch einen warmen blauen Himmel gleiten. Sie könnten sich mit Fußtritten von einem fliegenden Stein zum anderen schwingen, bis sie die Trümmer hinter sich gelassen hatten. Danach wären sie wie alle anderen in dieser Welt: freie Wesen, die im Sonnenschein vor einem grenzenlosen Himmel schwebten.
Venera lächelte. Sie sah die Türen des niedrigen Bunkers vor sich, durch den man nach Flosse gelangte, und fiel in Laufschritt. »Wir sind da!«
Es war eine einfache Schlussfolgerung gewesen. Flosse war ein Flügel, so aerodynamisch wie kein anderer Teil von Spyre. Von all den Stücken, die sich in den nächsten Stunden losreißen und abstürzen mochten, würde es am schnellsten und am weitesten fliegen.
Man konnte davon ausgehen, dass es schneller wäre als die anderen Trümmer. Außerdem hatte Venera den Verdacht, dass Flosses Bewohner sich im Lauf der Jahrhunderte reiflich überlegt hatten, wie sie sich verhalten wollten, wenn Spyres Ende kam.
Sie behielt Recht. Zwar wollten die Wachen am Eingang die Horde zunächst nicht einlassen, doch dann erschien Corinne und befahl ihnen, den Weg frei zu machen. Als der bunte Haufen aus Soldaten und Bürgern die Stufen hinabströmte, wandte sie sich an Venera, grinste breit und sagte mit einem leicht hysterischen Unterton: »Wir haben Fallschirme, und wir können die Flosse ausklinken und uns fallen lassen. Das war ursprünglich unser Katastrophenplan für den Fall einer Invasion. Jetzt …« Sie zuckte die Achseln.
»Aber habt ihr auch Boote? Bikes? Irgendwelche Transportmittel, wenn wir erst in der Luft sind?« Corinne grinste wieder, und Venera stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie hatte ihre Schützlinge an den richtigen Ort geführt.
Spyres Todeskampf begann, als die Letzten durch die Tür stolperten. Venera stand mit Corinne, Bryce und Sarto oben an der Treppe und sah am Rand der Welt, hoch oben hinter Klein-Spyres gemächlich rotierenden Rädern, eine helle Linie erscheinen. Die Linie verbreiterte sich, ihre Ränder saugten Bäume und Gebäude an, und von da an fiel Spyre auseinander. Die alten Fusionstriebwerke hatten nicht die Kraft gehabt, es langsam abzubremsen - vielleicht waren die Spannungen, die sie dabei erzeugten, letztlich ebenso verantwortlich für den Zusammenbruch des Titanskeletts wie die Zentripetalkräfte. Es kam nicht auf die Einzelursachen an;
Venera sah nur, dass tausend alte Kulturen in einem einzigen grellen Sonnenstrahl vernichtet wurden.
Eine Schockwelle raste um die Rundung der Welt. Ein herrlicher Anblick im Blau der Ferne, aber Venera wusste, dass sie geradewegs auf sie zusteuerte. Sie sollte hineingehen, bevor die Welle eintraf. Aber sie blieb, wo sie war.
In den auseinanderklaffenden Hälften der Welt taten sich weitere Spalten auf, das Land zerriss wie Papier. Ein Dröhnen wie das Gebrüll eines zürnenden Gottes kam immer näher, ein letztes Zittern durchlief den Boden, dann versagte die Schwerkraft vollends.
Kurz bevor Bryce sie am Arm packte und ins Innere zog, sah Venera eine Herde von Dali-Pferden mit verwegener Eleganz über den Rand der Welt galoppieren.
Sie würden überleben, davon war sie überzeugt. Wiehernd und mit den Hufen
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