SÄURE
nicht der richtige Augenblick für einen Besuch, Glenn. Wir kommen wieder, wenn sie sich besser fühlt.«
Anger nickte, aber er sah angeschlagen aus. Keine seiner Siegestrophäen hatte er bei einem offenen Konflikt gewonnen.
Douse berührte seinen Ellbogen, und die beiden gingen an mir vorbei auf den Ausgang zu und standen auf einmal Melissa gegenüber, die hinter einem großen Bücherschrank hervorkam. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug eine schwarze Bluse, keine Strümpfe, schwarze Sandalen. Etwas Rosafarbenes war in ihrer rechten Hand zusammengeballt - ein Papiertaschentuch.
»Melissa«, sagte Anger und setzte ein trauriges Gesicht á la ›ich kann Ihnen leider keinen Kredit geben‹ auf. »Es tut mir so leid wegen Ihrer Mutter, Kleines. Sie kennen Mr. Douse?«
Douse streckte ihr die Hand entgegen.
Melissa öffnete ihre Hand und zeigte ihm das Papiertaschentuch. Douse ließ seinen Arm fallen.
»Mr. Douse«, sagte sie, »ich weiß, wer Sie sind, aber wir sind uns noch nie begegnet, oder?«
»Tut mir leid, daß es unter diesen Umständen geschieht«, sagte der Anwalt.
»Ja, wie nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind. Und das an einem Sonntag.«
»In einem solchen Fall spielt der Tag keine Rolle«, sagte Anger. »Wir sind vorbeigekommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht. Aber Dr. Delaware hat uns gesagt, Sie ruhten sich aus, und wir wollten gerade weg.«
»Mr. Douse«, sagte sie und näherte sich, ohne Anger Achtung zu schenken, dem Anwalt, »Mr. Douse, bitte geben Sie alle Hoffnung auf, Sie könnten mich ausplündern, okay, Mr. Douse? Nein, sagen Sie gar nichts - gehen Sie einfach! Sofort - Sie beide - raus! Meine neuen Anwälte und meine neuen Banker werden sich in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen.«
Kaum waren sie weg, schrie sie wütend auf und fiel in sich zusammen. Ich fing sie auf, sie weinte. Noel kam mit einem ängstlichen und verwirrten Gesicht die Treppe heruntergerannt. Er wollte sie trösten, sah jedoch, wie ich sie an meine Brust drückte, und blieb mitten auf der Treppe stehen.
Ich deutete ihm mit einer Kopfbewegung an herunterzukommen.
Er trat sehr nahe an sie heran und fragte: »Melissa?«
Sie hörte nicht auf zu weinen und drückte ihren Kopf so fest gegen mein Brustbein, daß es weh tat. Ich klopfte ihr auf den Rücken. Es erschien mir unpassend.
Schließlich ließ sie mich los, ihre Augen waren gerötet, und ihr Gesicht glühte. »Oh«, wimmerte sie, »oh, diese Hundesöhne! Wie konnten sie! Wie konnten sie die - Sie ist noch nicht einmal - oh!« Sie würgte die Worte hinunter, drehte sich um, rannte zu einer Wand und schlug fest mit den Fäusten dagegen.
Noel sah mich ratsuchend an. Ich nickte, er ging zu ihr. Sie erlaubte es ihm, sie in den vorderen Raum zu führen. Alle drei setzten wir uns hin. Madeleine kam herein. Sie sah wütend, aber selbstzufrieden aus, als hätten sich ihre schlimmsten Befürchtungen in bezug auf die Menschheit bestätigt - wieder einmal. Ich fragte mich, wieviel sie gehört hatte.
Weitere Schritte. Die beiden anderen Dienstmädchen erschienen hinter Madeleine. Sie sagte etwas, und die beiden eilten fort.
Madeleine kam heran und berührte Melissas Kopf. Melissa sah auf und lächelte trotz der Tränen.
Madeleine fragte sie: »Soll ich dir was zu trinken bringen?«
Melissa antwortete nicht.
Ich sagte: »Bitte, Tee für uns alle.«
Madeleine marschierte los. Melissa saß mit hochgezogenen Schultern unter Noels schützendem Unterarm, die Zähne zusammengebissen, zerriß das Papiertaschentuch und ließ die Fetzen zu Boden fallen.
Madeleine kam mit Tee, Honig und Milch auf einem Silbertablett zurück. Sie goß ein, reichte Noel eine Tasse, der sie an Melissas Lippen führte.
Melissa trank, verschluckte sich, spuckte.
Alle drei beeilten wir uns, ihr beizustehen - der Wirbel unserer Arme hätte aus den Keystone-Stummfilmen stammen können. Unter anderen Umständen wäre es vielleicht komisch gewesen. Als sich die Aufregung wieder gelegt hatte, hielt Noel ihr von neuem die Tasse an die Lippen. Sie nahm ein Schlückchen, fing an zu würgen, legte die eine Hand auf die Brust, aber es gelang ihr, es unten zu behalten. Nachdem sie ein Drittel der Tasse ausgetrunken hatte, nickte Madeleine beifällig und entfernte sich.
Melissa berührte Noels Hand und sagte: »Genug, danke.«
Er stellte die Tasse hin.
Sie sagte: »Die Hundesöhne - unglaublich!«
»Wer?« fragte Noel.
»Mein Banker und mein Anwalt«, erklärte sie, »versuchen
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