SÄURE
Bullen flackerte über die Scheibe, und ungefähr vierzig Augenpaare unter müde herabhängenden Lidern folgten dem dramatischen Krachen und Röcheln.
»Thorazin-City«, sagte Milo, seine Stimme kalt wie Freon. Zorn als Therapie…
Wir waren halb durch den Saal, als Pater Tim Andrus hinter einen Vorsprung hervortrat und eine Kaffeemaschine auf einem Aluminiumwagen herbeirollte. Im unteren Fach des Wagens standen in Plastikfolie verpackte Styroporbecher. Das klerikale Hemd des Priesters war braunoliv, er trug es über ausgewaschenen Blue jeans, die Knie der Hose waren weißgescheuert. Dieselben weißen Hightop-Basketballschuhe, die er beim erstenmal angehabt hatte, eines der Schnürbänder hatte sich gelöst.
Er runzelte die Stirn, hielt an, vollführte eine scharfe Wendung von uns weg und schob den Wagen dann zwischen Reihen schlafender Männer hindurch. Die Räder des Wagens eierten und blieben überall hängen. Andrus setzte ruckweise und schlangenförmig seinen Weg fort, bis er sich neben dem Fernseher befand. Er beugte sich tief hinab und flüsterte etwas einem der Männer zu, einem jungen Mann mit irren Augen in einem zu engen Anzug, in dem er wie ein zu groß gewordenes, wildes Findelkind aussah. Er war wohl nicht viel älter als siebzehn, achtzehn, vielleicht zwanzig - unter dem stellenweise vorhandenen Kinnbart saßen immer noch das Babyfett und eine gewisse Weichheit, die zeigte, daß er aus einem besserem Vorort kam. Die verfilzte Haarmatte und die schorfige Haut hatten allerdings jeden Anschein von Unschuld zerstört.
Der Priester sprach langsam mit ihm, mit großer Geduld. Der junge Mann hörte zu, stand langsam auf und begann mit zitternden Händen einen Stapel Becher auszuwickeln. Er füllte einen Becher am Hahn der Kaffeemaschine und wollte ihn an die Lippen heben. Andrus berührte sein Handgelenk, und der junge Mann hielt verwirrt inne. Andrus lächelte, sprach wieder und führte das Handgelenk des jungen Mannes so, daß er den Becher einem der dasitzenden Männer hinhielt. Der Mann nahm ihn. Andrus gab ihm einen anderen Becher, den er zu füllen anfing. Eine lockere Schlange bildete sich vor der Kaffeemaschine. Dann kam er zu uns herüber.
»Bitte gehen Sie«, bat er. »Es gibt nichts, was ich für Sie tun kann.«
»Nur ein paar Fragen, bitte, Pater«, sagte Milo.
»Es tut mir leid, Mr. - ich weiß Ihren Namen nicht mehr, aber es gibt absolut nichts, was ich für Sie tun kann, und ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie gingen.«
»Ich heiße Sturgis, Pater, und Sie haben den Namen nicht vergessen. Ich habe ihn Ihnen nie genannt.«
»Nein«, sagte der Priester, »das haben Sie nicht, aber die Polizei hat es getan, vor einer Weile. Sie haben mir auch gesagt, daß Sie nicht von der Polizei wären.«
»Das habe ich auch nie behauptet, Pater.«
Andrus’ Ohren liefen rot an. Er zog an seinem feinen Barthaar. »Nein, ich nehme an, Sie haben es nicht getan, aber Sie haben es einfach impliziert. Ich habe den ganzen Tag mit Betrug und Verstellung zu tun, Mr. Sturgis, gehört zu meiner Arbeit. Aber das heißt nicht, daß ich es mag.«
»Tut mir leid«, sagte Milo. »Ich war…«
»Eine Entschuldigung ist nicht nötig, Mr. Sturgis. Sie können Ihre Reue dadurch beweisen, daß Sie gehen und mir erlauben, daß ich mich wieder meinen Leuten zuwende.«
»Hätte es denn einen Unterschied gemacht, Pater? Wenn ich Ihnen gesagt hätte, daß ich ein vorübergehend beurlaubter Bulle bin?«
Überraschung im hageren Gesicht des Priesters.
»Was haben die Ihnen denn gesagt, Pater?« fragte Milo. »Daß sie mich aus dem Dienst gefeuert haben? Daß ich ein schwerer Sünder bin?«
Andrus’ Gesicht wurde zornrot. »Ich - Es hat wirklich keinen Sinn, jetzt hier über - ungehörige Dinge zu reden, Mr. Sturgis. Die Hauptsache ist, daß ich nichts für Sie tun kann. Joel ist tot!«
»Ich weiß das, Pater.«
»Und damit auch jedes Interesse, das Sie an der Mission haben könnten.«
»Irgendeine Ahnung, wer für seinen Tod verantwortlich ist?«
»Kümmert Sie das, Mr. Sturgis?«
»Kein bißchen, aber wenn es mir hilft zu verstehen, warum Mrs. Ramp gestorben ist…«
»Was, sie - Oh!« Andrus schloß die Augen und riß sie wieder auf. »Oh, mein Gott!« Er seufzte und legte eine Hand auf seine Stirn. »Ich wußte das nicht. Es tut mir leid.«
Milo erzählte ihm vom Stausee am Morris-Damm. Eine längere, aber mildere Version als die, die er Lewis mitgeteilt hatte.
Andrus schüttelte den Kopf und
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