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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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wenn Sie Zeit haben.«
    »Ich habe Zeit.«
    »Vielen Dank und entschuldigen Sie, daß ich eben so unbeherrscht war.«
    »Kein Problem«, sagte ich und brachte sie zum zweitenmal zur Tür.
    »Danke, Dr. Delaware.«
    »Passen Sie gut auf sich auf, Melissa.«
    »Ja, mach’ ich«, sagte sie, aber sie sah wie ein Kind aus, das zu viele Hausaufgaben aufbekommen hatte.
    Nachdem sie fort war, kam mir in den Sinn, wie sie die wichtigen Tatsachen eine nach der anderen so nebenbei erwähnt hatte: die Wiederverheiratung ihrer Mutter, den jungen Mann in ihrem Leben, Dutchys Tod, McCloskeys Rückkehr. Alles hatte sie beiläufig gesagt, mit einer Lässigkeit, die Abwehr oder Selbstverteidigung bedeutete.
    Aber wenn man bedachte, womit sie fertig werden mußte, dann war Abwehr das einzig Vernünftige. Daß ihr die Verantwortung entzogen wurde, mußte besonders hart für sie sein, nach all den Jahren, in denen sie ganz alleine ihre Mutter aufgezogen und zur Gesundung verholfen hatte.
    Nur um jetzt von ihrem eigenen Erfolg besiegt zu werden: zurücktreten zu müssen, um der Therapeutin die Zügel zu überlassen und ihre Zuneigung mit einem Stiefvater teilen zu müssen.
    Ja, und wer kümmerte sich nun eigentlich um Melissa? Jacob Dutchy hatte einmal diese Rolle übernommen. Obwohl ich den Mann kaum gekannt hatte, machte mich der Gedanke, daß er nicht mehr da war, traurig. Er war das treue Faktotum, immer behütend, immer beschützend. Er war eine Persönlichkeit gewesen. Für Melissa bedeutete das, sie hatte zum zweitenmal ihren Vater verloren.
    Was hieß das für sie im Hinblick auf ihre Beziehung zu Männern? Wenn ihre Bemerkungen über Don Ramp und Noel Drucker dafür Beispiele waren, dann war dieser Weg bisher ziemlich holprig verlaufen. Und jetzt verlangten die Leute in Cambridge, Massachusetts, von ihr eine Entscheidung, und für sie erhob sich das Schreckgespenst einer weiteren Kapitulation.
    Wer hatte wirklich Angst vor der Trennung? Nicht, daß ihre Ängste völlig unbegründet wären, da war ja dieser »Mikoksi mit Säure«.
    Warum war McCloskey, fast zwanzig Jahre nach seiner Verurteilung, nach Los Angeles zurückgekehrt? Dreizehn Jahre Gefängnis plus sechs auf Bewährung, ließen ihn dreiundfünfzig Jahre alt werden. Was mochten die vielen Gefängnisjahre bei ihm bewirkt haben?
    Es war dasselbe Gefühl, das ich vor neun Jahren schon einmal gehabt hatte, als ich mich entschloß, ein angstgeplagtes Kind zu behandeln, obwohl die Bedingungen gegen meine Berufsprinzipien verstießen: ich war nicht bis zu der eigentlichen Ursache vorgedrungen.
    Es verstärkte in mir das Gefühl, einfach keinen Zugriff auf den Kern des Problems zu haben. Vor neun Jahren hatte sich ihr Zustand trotzdem gebessert, durch Zauberei. Wie viele Kaninchen verblieben mir noch in meinem Zylinder?
    Ein Anrufbeantworter meldete sich in der Gabney-Klinik, rasselte Telefonnummern und Notruf-Piepser-Codes für beide Ärzte herunter. Es wurden weiter keine Mitarbeiter genannt. Ich stellte mich als Melissa Dickinsons Therapeut vor, hinterließ eine Nachricht für Ursula Cunningham-Gabney und bat um einen Rückruf so schnell wie möglich. Während der folgenden Stunden kamen mehrere Anrufe, aber keiner aus Pasadena.
    Um zehn nach sieben kam Milo. Er trug dieselbe Kleidung wie am Morgen, nur war sie jetzt von Gras und Schweißflecken übersät. Er roch nach grünem Rasen und sah müde aus.
    Ich fragte: »Irgendwelche Bälle reingekriegt?«
    Er schüttelte den Kopf, schnappte sich ein Grolsch im Kühlschrank, poppte es auf und sagte: »Nicht mein Sport, Alter. Auf dem blöden Rasen hinter so einem kleinen weißen Fleck herzurennen, macht mich wahnsinnig.«
    »So ein paar lächerliche Pütts? Das sind doch gar keine Entfernungen!«
    »Ich hatte gedacht, das wäre was für mich.« Er legte den Kopf in den Nacken und ließ das Bier die Kehle hinunterrinnen. Als die Flasche leer war, fragte er: »Wohin gehen wir denn essen?«
    »Wohin du willst.«
    »Also«, sagte er, »du kennst mich ja, mich zieht’s zur Hautevolee. Wie du siehst, hab’ ich mich sogar entsprechend angezogen.«
    Wir landeten schließlich an einem Taco-Imbiß in der Nähe der Zwanzigsten, im schlimmsten Teil von Santa Monica. Es stank nach Abgasen, und wir saßen an einem von zahllosen Messern zerschnitzten, großen, alten Picknickholztisch. Es gab weiche, gedünstete Tortillas gefüllt mit grob gemahlenem Schweinefleisch und mariniertem Gemüse und dazu Coca-Cola Classic aus Pappbechern.
    Der Stand

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