SÄURE
Gabneys?«
»Ich muß darauf achten, ihren Behandlungsplan nicht zu stören.«
»Gut«, sagte sie. »Ich hoffe nur, daß sie Ihnen keine Schwierigkeiten macht.«
»Dr. Ursula?«
»Hm.«
»Gibt es irgendeinen Grund, weshalb sie das Ihrer Meinung nach tun könnte?«
»Nein, sie ist einfach so. Sie möchte alles in der Hand haben. Ich habe den Eindruck, sie möchte, daß Mutter Geheimnisse für sich behält, die nichts mit ihrer Therapie zu tun haben.«
»Was für Geheimnisse?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Das ist es ja, ich habe keinerlei Beweise, nur so ein Gefühl. Ich weiß, es klingt verrückt. Noel sagt, ich wäre paranoid.«
»Es ist keine Paranoia«, sagte ich. »Es liegt Ihnen sehr viel an Ihrer Mutter. Sie haben sich viele Jahre lang um sie gekümmert. Es wäre unnatürlich, wenn Sie einfach so…«
Ihre Anspannung verschwand. Sie lächelte.
Ich sagte: »Da fange ich schon wieder damit an, hm?«
Sie fing an zu kichern und stoppte verwegen.
Ich sagte: »Ich werde Dr. Ursula heute anrufen, und dann werden wir sehen, einverstanden?«
»Einverstanden.« Sie kam ein paar Schritte näher und schrieb mir die Telefonnummer der Klinik auf.
Ich sagte: »Halten Sie die Ohren steif, Melissa. Wir schaffen das!«
»Ich hoffe. Sie können mich direkt bei mir zu Hause anrufen, das ist die Nummer, unter der Sie mich gestern erreicht haben.« Sie ging zum Kaffeetisch zurück, nahm hastig ihr Täschchen auf und hielt es in Hüfthöhe vor sich. Die sogenannte ›Accessoires-Abwehr‹. Ich fragte: »Ist sonst noch was?«
»Nein«, sagte sie und sah zur Tür. »Ich schätze, wir haben eine Menge durchgesprochen, nicht?«
»Es gab eine Menge zu bereden.« Wir gingen zur Tür.
Sie drehte den Türknopf und sagte: »Also, noch mal vielen Dank, Dr. Delaware,« verabschiedete sie sich steif und mit dünner Stimme, viel nervöser als sie beim Hereinkommen gewesen war.
Ich fragte noch: »Sind Sie sicher, daß das alles war, worüber Sie mit mir sprechen wollten, Melissa?… Wir haben Zeit. Ich bin nicht in Eile.«
Sie starrte mich an. Dann fielen ihre Lider wie Rollgitter herunter, und ihre Schultern sackten abwärts. »Es ist seinetwegen«, sagte sie mit sehr leiser Stimme. »McCloskey, er ist wieder da - in Los Angeles. Völlig frei, und ich möchte nicht wissen, was er tun wird.«
8
Ich führte sie wieder hinein und setzte sie hin.
Sie sagte: »Ich wollte es gleich am Anfang erwähnen, aber…«
»Das gibt der Angst, Ihre Mutter zu verlassen, eine ganz andere Dimension.«
»Ja, aber um ehrlich zu sein, hätte ich auch Angst, wenn er nicht da wäre. Er macht es so nur noch schlimmer.«
»Wann haben Sie erfahren, daß er wieder da ist?«
»Letzten Monat. Da war diese Sendung im Fernsehen, irgendeine Dokumentation über die Rechte, die die Opfer von Verbrechern haben, daß sie in manchen Bundesstaaten beim Gefängnis erfahren können, wann der Verbrecher einen Anhörungstermin wegen vorzeitiger Entlassung bekommt.
Damit sie dagegen Protest einlegen können. Ich wußte, daß er schon vor Jahren entlassen worden und anderswohin gezogen war. Aber ich schrieb trotzdem hin, um zu sehen, ob ich nicht noch irgend etwas erfahren könnte - wegen Mutter. Das Gefängnis ließ sich viel Zeit, bis es antwortete, dann teilte man mir mit, ich solle mich mit dem Bewährungshelfer in Verbindung setzen. Es war ein ewiges Hin und Her, bis ich endlich den Namen seines letzten Bewährungshelfers erfuhr, hier in Los Angeles! Nur war er nicht mehr mit ihm in Kontakt - McCloskey hatte seine Bewährungszeit soeben beendet.«
»Seit wann ist er schon aus dem Gefängnis heraus?«
»Seit sechs Jahren. Das habe ich von Jacob erfahren, nachdem ich ihn immer wieder gelöchert hatte. Erst als ich fünfzehn war, gab er zu, daß er McCloskey die ganze Zeit im Auge behalten und herausbekommen hatte, daß er ein paar Jahre zuvor entlassen worden und aus Kalifornien weggezogen war.« Sie ballte die Hände zu kleinen weißen Fäusten zusammen und schüttelte sie. »Der Scheißkerl hat dreizehn von den dreiundzwanzig Jahren abgesessen - den Rest hat man ihm wegen guter Führung erlassen. Da ist doch was faul, oder? Keiner kümmert sich um das Opfer. Man hätte ihn in die Gaskammer schicken sollen!«
»Wußte Jacob, wo er hingegangen ist?«
»Nach New Mexico, dann nach Arizona und, ich glaube, Texas - er hat dort wohl bei den Indianern im Reservat gearbeitet. Jacob erzählte, McCloskey hatte versucht, der Bewährungsbehörde
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