SÄURE
Hernandez’ Söhne - bearbeiteten die Vegetation mit Gartenscheren und unterbrachen die Stille nur mit leisem, trockenem Klicken.
Der Weg endete in einer perfekt halbkreisförmigen Auffahrt vor einem Dattelpalmenpaar, das zu einer Freitreppe mit breiten Stufen und von Glyzinien berankten steinernen Balustraden zum Haus hinaufführt: pfirsichfarben, dreistöckig und so breit wie ein ganzer Häuserblock.
Was wie krasse Gigantomanie hätte wirken können, war lediglich monumental und überraschend angenehm fürs Auge: die Linien zentralperspektivisch angelegt, hier und da durch phantasievolle Wendungen aufgelockert, und ein Reichtum an Details; hohe, bleiverglaste Bogenfenster, mit neo-maurischem Schmiedeeisen vergittert; Balkons, Veranden, Wassernasen, Regenrinnen und so weiter.
Trotzdem, die schiere Größe und die Einsamkeit des Ortes waren bedrückend und traurig.
Ich parkte und stieg aus. Zum Klicken der Gartenscheren gesellten sich Vogelgekreische und Blättergeraschel hinzu. Ich erklomm die Treppe, unfähig mir vorzustellen, hier als Einzelkind aufzuwachsen. Der Eingang war groß genug für einen Lieferwagen: eine zweiflüglige Tür aus lackiertem Eichenholz. Während ich den Knopf der Türglocke drückte, betrachtete ich interessiert die vielen kleinen geschnitzten Tafeln der Türe, die allerlei ländliche Szenen darstellten.
Zwei Baritonnoten erklangen, dann öffnete Melissa. Mit ihrem weißen Button-down-Hemd, gebügelten Blue jeans und weißen Tennisschuhen sah sie winziger aus denn je - ein Rippchen in einem Puppenhaus, das viel zu groß für sie war.
Sie zuckte die Achseln und sagte: »Das ist ein Haus, hm?«
»Sehr schön.«
Sie lächelte erleichtert. »Mein Vater hat es entworfen. Er war Architekt.«
Mehr hatte sie in neun Jahren nicht über ihn zu sagen. Ich fragte mich, was sonst noch herauskommen mochte, jetzt, da ich sie zu Hause besuchte.
Sie berührte mich leicht am Ellbogen, dann zog sie mich hinein. »Kommen Sie herein«, sagte sie, »lassen Sie mich Ihnen das Haus zeigen.«
Das Innere war ein riesiger, mit Schätzen vollgestopfter Raum - eine Halle, die groß genug war, daß man darin hätte Krocket spielen können, im Hintergrund eine herrlich geschwungene Treppe aus grünem Marmor. Im Anschluß daran ein höhlenartiger Raum nach dem anderen, riesige Galerien, die wohl ursprünglich für Ausstellungen erbaut waren, Kassettendecken, spiegelblanke Paneele, Gobelins, Oberlichte aus farbigem Glas, kaleidoskopische Perser und Aubusson-Teppiche auf Marmorfußböden mit Mosaikmustern, handgemalten Fliesen oder französischem Walnußholzparkett. So viel Glanz und Reichtum, daß es meine Sinne überforderte, und ich merkte, wie ich Gefahr lief, mein Gleichgewicht zu verlieren.
Ich erinnerte mich, vor über zwanzig Jahren schon einmal ein solches Gefühl gehabt zu haben. In meinem zweiten Collegejahr, als ich solo mit Rucksack, einem Interrailticket 2. Klasse und vier Dollar pro Tag durch Europa fuhr, den Vatikan besuchte und mit großen Augen die goldverzierten Wände und die im Namen Gottes zusammengetragenen Schätze bestaunte. Als ich mich allmählich davon lösen konnte, fiel mein Blick auf andere Touristen und auf italienische Bauern aus den Dörfern im Süden, die ebenfalls überwältigt waren. Die Bauern verließen nie einen Raum, ohne Münzen in die Almosenkästen zu stecken, die an den Türen standen…
Melissa redete, deutete hierhin und dorthin, eine Fremdenführerin im eigenen Haus. Wir befanden uns in einem fünfeckigen, ringsum mit Bücherregalen versehenen, fensterlosen Raum. Sie zeigte auf ein Gemälde über dem Kaminsims, das von einem Scheinwerfer beleuchtet wurde. »Und das ist ein Goya: ›Der Herzog von Montero auf seinem Roß‹. Vater hat ihn in Spanien gekauft, als Kunst noch viel preiswerter war. Er interessierte sich nicht für das, was gerade Mode war - dieses Bild wurde bis vor einigen Jahren noch als ein ziemlich unbedeutendes Werk von Goya angesehen, viel zu dekorativ. Portraits wurden damals nicht sehr geschätzt. Inzwischen bekommen wir von den Auktionshäusern laufend Briefe. Vater hat vieles vorausgesehen. Als er nach England reiste, brachte er Kartons voller Präraffaeliten mit, zu einer Zeit, als alle anderen sie ganz einfach für Kitsch hielten, auch Tiffanyglas während der fünfziger Jahre, obwohl die Experten es als trivial ablehnten.«
»Sie kennen Ihre Materie«, sagte ich.
Sie errötete. »Ich habe es gelernt.«
»Von Jacob?«
Sie nickte und
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