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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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und ich glaube, Sie haben eine Menge Mut bewiesen, daß Sie schon so weit gekommen sind. Allein schon mich anzurufen, hat eine Menge Mut erfordert. Wir werden es schaffen!«
    »Ich höre Ihre Botschaft«, sagte sie. »Aber es ist doch sehr schwer, wenn man jemanden so sehr liebt.«

9
    Der Autobahnabschnitt, der Los Angeles mit Pasadena verbindet, kündigt sich mit vier Tunnels an, deren Eingänge ausgezeichnete Steinmetzarbeiten schmücken. Heute würde kein Stadtrat mehr etwas so Grundsolides genehmigen, aber dieses Stück Fortschritt - die erste Tunnelröhre der Stadt - war ja auch schon vor langer Zeit in die Senke hineingeschnitten worden.
    Es ist heute ein schmuddeliger und häßlicher Asphaltgürtel, gesäumt von Häusern, die vom viktorianischen Relikt bis zum Wellblechschuppen reichen, und psychotisch konstruierten, schrägen Auffahrten.
    Einst war San Labrador das private Reich von H. Farmer Cathcart, dem Erben einer Eisenbahn-Dynastie an der Ostküste gewesen. Cathcart kam um 1900 nach Kalifornien, um kommerzielle Möglichkeiten für die Familie auszukundschaften. Was er sah, gefiel ihm, und er fing an, städtische Bahnlinien, Hotels, Orangenplantagen, Bohnenfarmen und Ranchland an der Ostgrenze von Los Angeles aufzukaufen. Auf diese Weise brachte er einen Herrschaftsbereich von vier Quadratmeilen in den Hügeln zu Füßen der San-Gabriel-Berge zusammen. Nachdem er das obligatorische Herrenhaus errichtet hatte, umgab er es mit prächtigen Gärten und nannte das Ganze San Labrador.
    Dann, mitten in der Großen Depression, stellte er fest, daß seine finanziellen Mittel nicht grenzenlos waren. Eine halbe Quadratmeile behielt er, der Rest wurde aufgeteilt und verpachtet, wobei alle Grundstückstransaktionen mit strengen Auflagen verknüpft wurden: keine Farbigen, keine Orientalen, keine Juden, keine Mexikaner, keine Mehrfamilienhäuser, kein öffentlicher Alkoholausschank, keine Nachtklubs, Kinos und ähnliches.
    Cathcart starb 1937 an Grippe und hinterließ ein Testament, in dem er seinen Grund und Boden der Stadt San Labrador vermachte, unter der Bedingung, daß eine solche Stadt innerhalb von zwei Jahren gegründet würde. Seine wohlhabenden Pächter handelten rasch, gaben sich eine Charta und drückten sie beim Rat des Verwaltungsbezirks Los Angeles durch. Cathcarts Herrenhaus und Grundstück wurden in ein Museum umgewandelt.
    Bis heute blieb die Immunität des Distrikts San Labrador gegenüber dem Wandel der Zeit überraschend stark. Als ich den Cathcart Boulevard hinunterrollte, schien es mir, als hätte sich seit dem letztenmal, als ich hier gewesen war, nichts verändert. Der Verkehr war gering und trotzdem schleppend. Ein Hispanier im stadteigenen blauen Overall schob einen Industriestaubsauger den Bürgersteig entlang. Sonst waren die Straßen leer.
    Ich folgte Melissas Anweisungen und fuhr sechs Blocks an dem Geschäftsviertel vorbei und bog dann nach links ab auf den Cotswold Drive, einer von Pinienwipfeln überdachten schnurgeraden Straße, die sich nach einer halben Meile schlängelte und langsam anstieg. Die Straßenränder waren völlig leer. Das ›Parken-Streng-Verboten‹ wurde hier mit Denver-Stiefeln und harten Strafandrohungen durchgesetzt. Über den leeren Straßen erhoben sich hinter sanft abfallenden Rasenflächen große, ziegelgedeckte Häuser. Sie wurden immer größer, je höher die Straße kletterte.
    Oben auf dem Berg angekommen, waren nur noch meterhohe, mit Pflanzen begrünte Mauern zu sehen. Ich drosselte die Geschwindigkeit und ließ den Wagen rollen, bis ich endlich ein handgeschnitztes Kiefernholztor entdeckte, das an dicken Pfosten mit metallenen Beschlägen aufgehängt war. Seitlich schloß sich ein eiserner Zaun mit einer hohen Hecke an.
    Ich fuhr ans Tor, streckte die Hand aus dem Fenster und drückte auf den Knopf der Sprechanlage. Es war Melissas Stimme: »Dr. Delaware?«
    »Hallo, Melissa.«
    »Eine Sekunde.«
    Ein Rumpeln und Ächzen, und die Torflügel schwenkten einwärts. Ich fuhr einen steilen, steinernen, von Zedern gesäumten Weg hinauf, den man wohl gerade erst mit einem Schlauch abgespült hatte, denn er dampfte ganz leicht. Eine düstere Anfahrt. Die Stille wirkte zudem bedrückend. Ich dachte an Gina Dickinson, die hier allein hinunterfuhr, und gewann einen neuen Einblick in ihr Leiden und ihren Fortschritt.
    Schließlich kam eine Rasenfläche von der Größe eines Stadions in Sicht, umrahmt von runden Beeten mit Begonien und Sternjasmin.
    Gärtner - wohl

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