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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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blickte weg. »Jedenfalls bin ich sicher, Sie haben für heute genug gesehen.« Sie drehte auf dem Absatz um und ging weiter.
    »Sind Sie selbst auch an Kunst interessiert?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht viel darüber, nicht soviel wie Vater oder Jacob wußten. Ich mag allerdings Dinge, die schön sind, wenn niemandem dadurch weh getan wird.
    »Wie meinen Sie das?«
    Sie runzelte die Stirn. Wir verließen den mit Büchern gefüllten Raum.
    Durch hohe Fenster erblickte ich ein Schwimmbecken und einen Tennisplatz; daneben befand sich ein langgestrecktes, niedriges Gebäude, das an eine Reihe von Pferdeställen erinnerte, davor ein weiter, kopfsteingepflasterter Hof mit einem knappen Dutzend glänzender, antiker Automobile. Eine Gestalt im grauen Overall beugte sich über einen der Wagen, ein Polierleder in der Hand, und wienerte den funkelnden rubinfarbenen Kotflügel einer prachtvollen Karosserie. Melissa führte mich zurück durch die mit Kunst gefüllten Hallen zur Vorderseite des Hauses.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie plötzlich. »Es scheint mir, daß so viele Dinge schön anfangen und dann häßlich enden. Es ist, als ob schön sein ein Fluch sein kann.«
    Ich fragte: »McCloskey?«
    Sie steckte beide Hände in die Taschen ihrer Jeans und nickte nachdrücklich. »Ich habe eine Menge über ihn nachgedacht.«
    »Mehr als vorher?«
    »Viel mehr, seit wir uns unterhalten haben.« Sie schwieg, drehte sich zu mir um und blinzelte angestrengt. »Warum kommt er zurück, Dr. Delaware? Was will er?«
    »Vielleicht nichts, Melissa. Vielleicht bedeutet es nichts. Wenn irgend jemand es herausbekommen kann, dann mein Freund.«
    »Ich hoffe es«, sagte sie, »ich hoffe es sehr. Wann kann er anfangen?«
    »Ich sage ihm, er soll Sie so bald als möglich anrufen. Er heißt Milo Sturgis.«
    »Guter Name«, sagte sie. »Kernig.«
    »Er ist ein kerniger Kerl.«
    Wir gingen weiter. Eine große dicke Frau in einer weißen Dienstuniform polierte eine Tischfläche, Staubwedel in der einen Hand, Putztuch in der anderen, eine offene Büchse Wachs nahe ihrem Knie. Sie wandte das Gesicht ein wenig uns zu, und unsere Blicke trafen sich: Madeleine, noch grauer und faltig, aber immer noch kräftig aussehend. Ein Blick des Wiedererkennens huschte über ihr Gesicht; dann drehte sie mir den Rücken zu und setzte ihre Arbeit fort.
    Melissa und ich kehrten in die Eingangshalle zurück. Sie steuerte auf die grüne Marmortreppe zu. Als sie das Geländer berührte, fragte ich: »Was McCloskey angeht, machen Sie sich auch Gedanken um Ihre eigene Sicherheit?«
    »Meine?« fragte sie und blieb auf der ersten Stufe stehen. »Warum sollte ich?«
    »Schon gut. Sie haben nur gerade über die Schönheit als Fluch gesprochen. Haben Sie das Gefühl, daß Sie Ihr eigenes Aussehen belastet oder gefährdet?«
    »Mich?« Ihr Lachen kam zu rasch, war zu laut. »Kommen Sie, Dr. Delaware, lassen Sie uns nach oben gehen. Ich zeige Ihnen die wahre Schönheit.«

10
    Der Boden des Treppenabsatzes bestand aus einer großen Rosette aus schwarzem Marmor, in die eine blaugelbe Sonne eingelegt war. Entlang den Wänden standen ländliche französische Möbel, allesamt dickbäuchig, krummbeinig, fast schon abstoßend vor lauter Verschnörkelung, süßliche Renaissancegemälde, Stuckgesimse und Wölbungen begleiteten die strahlenförmig davon ausgehenden Korridore. Hier ähnelte das Haus eher einem Hotel als einem Museum, mit der traurigen, sinnlosen Atmosphäre eines Kurhotels außerhalb der Saison.
    Melissa wandte sich dem mittleren Korridor zu und führte mich an eine getäfelte Tür und klopfte.
    Eine Stimme aus dem Inneren fragte: »Ja?« Melissa sagte: »Dr. Delaware ist hier« und öffnete die Tür. Ich war auf eine weitere Megadosis Grandeur vorbereitet, fand mich aber in einem kleinen, einfachen Raum mit Sitzmöbeln wieder, der von einer einzigen Milchglasleuchte erhellt wurde. Die Wände waren kahl, abgesehen von einer einzigen Lithographie, einer zart kolorierten Mutter-Kind-Szene, die von Mary Cassatt sein mußte. Das Bild hing über einem rosafarbenen, mit grauen Paspeln versehenen zweisitzigen Sofa. Ein Kaffeetisch aus Kiefernholz und zwei Stühle aus dem gleichen Material schufen eine wohlige Atmosphäre. Auf dem Sofa saß eine Frau.
    Sie erhob sich und stellte sich vor: »Hallo, Dr. Delaware, ich bin Gina Ramp.« Eine sanfte Stimme. Sie kam auf mich zu, ihr graziler Gang war irgendwie unbeholfen. Sie hielt den Kopf unnatürlich hoch, nach einer Seite geneigt,

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