Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
weiß, dass ich versagt habe.
Ein greller Ton riss mich aus diesem schrecklichen Alptraum. Ruckartig setzte ich mich auf und wischte mir mit beiden Händen über das schweißnasse Gesicht. Langsam öffnete ich meine verquollenen, immer noch mit Tränen gefüllten Augen. Auf dem Nachttisch neben mir lag mein Handy, das unerbittlich klingelte. Wie in Trance griff ich nach dem Telefon.
»Waris! Hier ist Joanna, ich sitze schon beim Frühstück und warte auf dich. In drei Stunden geht unsere Maschine nach Dschibuti.«
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2.
Der Vertrag
1 Sack à 50 kg Basmatireis
1 Sack à 50 kg Mehl
1 Karton à 10 kg Teigwaren
1 Kiste à 5 l Speiseöl
2 kg Schwarztee
50 kg Zucker
1 Karton Tomatensoße
2 , 5 kg Trockenmilch
24 Kartons Kekse
48 Dosen getrockneter Thunfisch
1 Karton Spülmittel
1 Karton Waschpulver
Kerosin für 2 Monate + Anzünder
Zusätzlich bei der ersten Lieferung: 1 Dampfkessel
Leise las mir Joanna aus dem Vertrag vor, den die Desert Flower Filmproduktion im Jahr 2007 mit Safas Eltern geschlossen hatte. Inzwischen saßen wir nebeneinander in einer riesigen Maschine der Ethiopian Airlines und warteten auf den Abflug.
»All das ist in Abständen von jeweils zwei Monaten bis zu Safas achtzehntem Lebensjahr zu liefern«, fuhr meine Assistentin fort. »Des Weiteren sind bis zu ihrer Volljährigkeit das Schulgeld, sämtliche Fahrten zu und von der Schule, die Schuluniform, alle Schulbücher, Hefte und Unterlagen sowie ein Nachhilfelehrer zu bezahlen. Im Gegenzug verpflichten sich Safas Eltern per Unterschrift, ihre Tochter nicht genitalverstümmeln zu lassen. Außerdem stimmen sie zu, Safas Unversehrtheit sechsmal jährlich von einer Kinderärztin überprüfen zu lassen.«
Konzentriert blickte ich in das Schriftstück, das Joanna neben mir in Händen hielt. Unter den mit Schreibmaschine verfassten Zeilen waren groß und deutlich die Unterschriften von Fozia und Idriss Nour zu sehen. Safas Eltern hatten den Vertrag mit Fardouza ausgehandelt, der Mitarbeiterin der Desert Flower Foundation in Dschibuti. Die Afrikanerin hatte seinerzeit auch für die Desert Flower Filmproduktion gearbeitet. Im Beisein eines Notares gaben sie damit ihr Versprechen, Safa für immer unversehrt zu lassen. Ein weiterer Vertrag war für den somalischen Jungen Idriss abgeschlossen worden, der in dem Film meinen kleinen Bruder »Alter Mann« gespielt hatte. Seine Familie, bestehend aus drei Schwestern und dem halbblinden Vater, hatte ebenfalls zugestimmt, die Töchter nicht verstümmeln zu lassen.
In die Castings für die Verfilmung meines Lebens war ich von Anfang an intensiv eingebunden. Das war eine der Bedingungen für meine Einwilligung, das sensible Thema der Genitalverstümmelung in einem Film aufzugreifen. In New York, Los Angeles und Dschibuti machte das Team sich damals auf die Suche nach den geeigneten Darstellerinnen und Darstellern für
Wüstenblume.
Wer die erwachsene Waris Dirie spielen sollte, stand schnell fest. Liya Kebede, ein äthiopisches Model, hatte schon zuvor ihr schauspielerisches Talent unter Beweis gestellt, unter anderem in
Der gute Hirte
mit Matt Damon, Angelina Jolie und Robert De Niro oder in
Lord of War – Händler des Todes
mit Nicolas Cage. Sie war eine wunderschöne, talentierte Frau und zählte zu den erfolgreichsten Models der Welt. Gucci, Yves Saint Laurent, Louis Vuitton, L’Oréal, Estée Lauder – für sämtliche großen Marken der Welt warb die schöne Äthiopierin bereits. Darüber hinaus beeindruckte mich die Tatsache, dass sich Liya neben ihrer Karriere auf den Catwalks in New York, Paris und Mailand auch als UN -Sonderbotschafterin für die Weltgesundheitsorganisation einsetzte.
Liya hatte ich bereits vor vielen Jahren kennengelernt, als ich selbst noch als Model arbeitete, und zwar bei einer Party meiner Kollegin und Freundin Iman, der Ehefrau des Rockstars David Bowie. Ich war damals auf dem Gipfel meiner Karriere als Model angelangt und hatte beschlossen, den Job an den Nagel zu hängen, um mich ganz auf meine Arbeit als Menschenrechtsaktivistin konzentrieren zu können. Meine Pläne und das Outing meiner Genitalverstümmelung im Rahmen eines Interviews, das weltweit für Aufsehen gesorgt hatte, dürften die junge Liya beeindruckt haben. In Imans stylishem Appartement in New York bemerkte ich, dass mich die junge Äthiopierin eindringlich musterte. Nach mehreren Stunden sprach sie mich schließlich an.
»Waris, mein Name ist
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