Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Liya. Du bist mein großes Vorbild, als Model und als Menschenrechtsaktivistin«, begann sie schüchtern. »Ich habe alles über dich gelesen und alle deine Fotos gesehen. Ich bin erst vor kurzem in New York angekommen, um hier in der Modebranche Fuß zu fassen.«
Wir plauderten eine Stunde lang. Als ich mich schließlich verabschiedete, wünschte ich ihr viel Glück. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen würden und sie zehn Jahre später in meinem Film die Protagonistin sein würde.
Neben den Hauptrollen lag mir vor allem eine Nebenrolle ganz besonders am Herzen: jene des kleinen Mädchens, das in der grausamen Genitalverstümmelungsszene zu sehen sein würde.
Nachdem in Dschibuti noch nie ein Spielfilm gedreht worden war und es dort keine professionellen Schauspieler gab, mussten alle Rollen mit Laiendarstellern besetzt werden. Unsere Mitarbeiterin Fardouza, selbst Mutter von fünf Kindern, übernahm die Aufgabe, die Castings zu organisieren und zu leiten.
Schnell sprach sich in der Stadt herum, dass aufregende Dreharbeiten anstanden. Prompt kamen mehrere hundert Eltern aus allen Himmelsrichtungen mit ihren Kindern herbei. Die Frauen trugen ihre schönsten Hijabs, und auch die Kleinen hatten sie feinsäuberlich herausgeputzt. Niemand wollte sich die Chance entgehen lassen, eine Filmrolle in der großen Produktion zu ergattern. Sei es aus Freude an der Abwechslung in ihrem sonst so eintönigen Leben oder, vor allem, mit der Hoffnung, etwas Geld zu verdienen und ein besseres Leben führen zu können. Umso schwerer fiel dem Produktionsteam angesichts dieser Umstände die Auswahl der Darsteller. Fest stand jedoch, dass man für die Rolle der kleinen Waris Dirie auf der Suche nach einem ganz besonderen Mädchen war. Nach einem selbstbewussten kleinen Menschen, der eine unverwechselbare Ausstrahlung hatte, nach einer kleinen Wüstenblume eben.
Unter Führung der fantastischen Regisseurin Sherry Hormann sah sich die Filmcrew Dutzende Mädchen im Kleinkindalter an. Viele von ihnen wirkten völlig verschreckt und waren somit für die Arbeit vor der Kamera gänzlich ungeeignet. Einige hinterließen durchaus einen ganz guten ersten Eindruck, doch wirklich perfekt war keines der vielen Kinder für die anspruchsvolle Aufgabe geeignet. Mehrfach diskutierten wir innerhalb des Teams darüber, ob wir die Castings in Dschibuti gar abbrechen und auf eine professionelle Schauspielerin aus Europa oder Amerika zurückgreifen sollten.
Dann stand eines Tages eine Frau aus den Balbala-Slums von Dschibuti-Stadt mit ihren beiden Töchtern vor uns, die einen sehr munteren Eindruck machten. Auf dem Arm trug sie ein weiteres Mädchen, über das sie jedoch kein Wort verlor. Die Casting-Crew sah sich daher nur die beiden älteren Mädchen an und redete eine Weile mit ihnen. Schnell stellte sich heraus, dass auch von ihnen keine als Darstellerin für die kleine Wüstenblume in Frage kam. Gerade als sich die junge Frau enttäuscht zum Gehen wenden wollte, hielt Fardouza sie auf.
»Warten Sie einen Moment! Wer ist denn das Mädchen auf Ihrem Arm?«, fragte sie die Afrikanerin.
»Die Kleine hier? Ach, das ist bloß Safa, die Tochter meiner Nachbarin«, winkte die Frau ab. »Ich muss heute auf sie aufpassen, daher habe ich sie mitgebracht.«
Fardouza blickte in die hellwachen Augen des Kindes. Fröhlich lachte es die Mitarbeiterin der Desert Flower Foundation an.
»Warten Sie einen Moment.« Fardouza versuchte die Frau vom Gehen abzuhalten. »Wir wollen ein paar Fotoaufnahmen von der Kleinen machen.«
Ehe Fardouza es sich versah, streckte ihr das liebreizende Kind beide Ärmchen entgegen.
»Wieso nehmen Sie nicht eins von meinen Mädchen?«, herrschte die Frau sie an und presste die Tochter ihrer Nachbarin fest an sich. »Safa ist doch noch viel zu klein. Außerdem würden ihre Eltern sicher keine Genehmigung dafür erteilen, dass sie in eurem Film mitspielt. Die Familie ist sehr religiös, für sie ist die Beschneidung etwas Heiliges, das nicht in Frage gestellt werden darf.«
Fardouza reagierte gelassen. »Wo lebt die Familie des Mädchens denn?«, fragte sie mit ruhiger, freundlicher Stimme. »Wir würden die Eltern gerne selbst fragen.«
»Da müssen Sie schon nach Balbala fahren«, zischte ihr Gegenüber. »Sie wissen sicher selbst, dass es dort sehr gefährlich werden kann.«
Sofort griff Fardouza nach ihrer Tasche und steckte die Kamera ein, mit der sie bei den Castings Fotos von den
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