Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
mir sofort aufgefallen. Eine achtzehnjährige Frau, deren Blick mir verriet, dass sie in ihrem jungen Leben schon so einiges durchgemacht hatte. Ich beschloss, mich später noch ausgiebig mit ihr zu unterhalten.
»Greift zu und nehmt euch alles, was ihr wollt!«, sagte Joanna und machte den Anfang.
Nachdem sie ihnen die Scheu vor dem großen Buffet genommen hatte, luden jetzt endlich auch unsere Gäste Speisen auf ihre Teller. Mit den Fingern griffen sie gierig zu und häuften sämtliche Beilagen und Hauptspeisen auf einmal auf das weiße Porzellan. Indes standen die anderen Hotelgäste Schlange und kamen nicht an das Buffet heran. Empört über die Einheimischen, die die silbernen Tabletts vor ihnen plünderten, räusperten sie sich und flüsterten sich gegenseitig etwas zu. Belustigt und traurig zugleich über das mangelnde Verständnis der betuchten Luxushotelgäste beobachtete ich das Treiben vor dem Buffet.
Endlich hatten alle mehr als genug auf dem Teller, und wir saßen wieder alle beieinander.
»Esst ihr oft Fleisch zu Hause?«, wollte ich von Safa wissen, die schmatzend hinter einem Berg Fleisch und Pommes frites hervorlugte.
»Nein, nur manchmal. Und wenn, dann gibt es vor allem Kamel- oder Schaffleisch. Schwein ist für uns Moslems verboten, sagt Papa. Und Ziege gibt es nur zu besonderen Anlässen, bei einer Heirat oder wenn jemand zu Besuch kommt«, erklärte mir mein Patenkind, griff zu einem Stück Huhn auf seinem Teller und aß es mit den Fingern, so wie den Hamburger heute Mittag. »Aber Ziegen mag ich nicht essen, weil ich nicht will, dass sie geschlachtet werden. Meine Ziege Ari darf sowieso nie geschlachtet werden«, stellte sie nüchtern fest und betonte noch einmal: »Nie, nie, nie!«
»Und woher nehmt ihr euer Trinkwasser?«, fragte ich weiter.
Safas Vater, dessen Teller bereits fast leer war, antwortete: »Meistens kaufen wir es. Zwar gibt es auch einige Wasserstellen in Balbala, wo die anderen Familien ihre Tagesrationen holen, aber das ist sehr schmutzig«, erzählte der Mann. »Viele werden davon krank.«
Nun mischte sich auch Inab ein, die Schwester des sechzehnjährigen Idriss. »Das Wasser aus dem Supermarkt ist sehr teuer. Ein Liter kostet dreihundert Dschibuti-Francs. Das kann sich in Balbala kaum jemand leisten.« Dreihundert Dschibuti-Francs waren umgerechnet etwa ein Euro und dreißig Cent.
»Mein Vater verdient als Wachmann zwanzigtausend Dschibuti-Francs«, beantwortete Inab meine nächste Frage, noch bevor ich sie stellen konnte.
Das waren umgerechnet weniger als einhundert Euro pro Monat. Der Brautpreis, den eine Familie für eine beschnittene Tochter bekam, betrug durchschnittlich die gleiche Summe, die in etwa einem Monatsgehalt entsprach, von dem eine mehrköpfige Familie leben musste.
Als sich alle satt und glücklich in ihren Sesseln zurücklehnten, gingen Amir, Nour und Idriss in den Hotelpool schwimmen. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatten sie in so sauberem, noch dazu lichtdurchflutetem Chlorwasser geplanscht.
»Geht es Amir gut? Er guckt immer so ernst«, fragte ich seinen Vater, der seine Söhne zufrieden lächelnd beobachtete.
»Er ist sehr krank«, antwortete Idriss leise. »Doktor Acina sagt, er hat eine chronische Bronchitis und schweres Asthma. Er muss starke Medikamente nehmen, sonst erstickt er eines Tages.«
Besorgt erkundigte ich mich, ob sich die Familie die Medikamente denn leisten könne. »Ja, dank eurer Unterstützung können wir ihm alles kaufen, was er braucht«, erwiderte der dreifache Vater und sah mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft aufrichtig freundlich an.
»Wie viele Menschen arbeiten eigentlich bei der Desert Flower Foundation?«, fragte nun Inab interessiert.
»Wir sind in ganz Europa vertreten«, erklärte Joanna, die seit der Gründung der Organisation vor elf Jahren an meiner Seite war. »Rund dreißig Menschen helfen uns in Frankreich, Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern, die Menschen mit großangelegten Kampagnen über das Thema weibliche Genitalverstümmelung aufzuklären.«
Daraufhin berichtete Inab, dass in ihrem Dorf alle über die Desert Flower Foundation und ihre Arbeit Bescheid wüssten und die Nachbarn oft über meinen Film diskutierten. »Waris, sie würden es niemals vor ihren Familien zugeben, aber du bist für unzählige junge Frauen ein großes Vorbild«, sagte Inab, die mich nun bewundernd anlächelte. »Viele Mädchen haben dasselbe durchgemacht wie du, auch sie wurden beschnitten, und
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