Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
wenig Zeit.«
Seufzend nickte Inab und wischte sich die Tränen weg. Ich wusste, dass ich in diesem Augenblick die Verantwortung für das Schicksal eines weiteren Mädchens übernommen hatte. Inständig hoffte ich, dieser auch gerecht zu werden.
»So, jetzt muss ich aber wirklich mal«, sagte ich ausgelassen, um die Stimmung etwas zu heben, und stand auf.
»Waris«, hielt mich Inab zurück, »hast du auch immer so starke Schmerzen? Manchmal denke ich, ich halte das nicht mehr lange aus.«
Mir stockte der Atem. Mir war klar, wovon Inab sprach, denn ich wusste nur zu gut, wie höllisch die Qualen waren, unter denen viele beschnittene Frauen ihr Leben lang zu leiden hatten.
»Mein Kind, ich verspreche dir, dass wir versuchen werden, dir zu helfen.« Dass die einzige medizinische Lösung für ihr Problem im fernen Europa lag, wollte ich ihr in diesem Augenblick noch nicht sagen.
Der Kaffee wurde gerade serviert, als Inab und ich auf die Terrasse zurückkehrten.
»Wo wart ihr denn so lange?«, fragte Safa ungeduldig, während ich nachdenklich in meiner Tasse rührte.
Ich erklärte ihr, dass ich mit Inab noch ein wenig über die Arbeit bei der Desert Flower Foundation gesprochen hatte.
»Ich möchte wirklich unbedingt für euch arbeiten«, nutzte Inab die Gelegenheit, das Thema noch einmal aufzugreifen. »Ich will hier in Afrika gegen diese Ungerechtigkeit kämpfen und in Europa lernen, wie man das macht. Wäre es nicht möglich, das bei euch zu lernen?«
Alle schwiegen. Inabs Vater warf mir einen entgeisterten Blick zu. Diese direkte Frage seiner Tochter kam auch für mich überraschend. »Au ja, ich will auch nach Europa«, unterbrach ihr kleiner Bruder Idriss das Schweigen.
Prompt stimmte auch Safa etwas leiser in den Chor ein. »Darf ich auch mit nach Europa kommen und bei der Schulung dabei sein?«
Damit war sich auch Safas Vater sicher. »Richtig. Wir müssen definitiv alle nach Europa. Wenn die Leute hier wissen, dass wir dort waren, werden sie uns viel mehr Glauben schenken.«
Die Situation war eindeutig aus dem Ruder gelaufen. Natürlich wollte jeder, der hier in Armut lebte, weg aus Afrika. Jeder glaubte, in Europa ein Schlaraffenland vorzufinden, in dem es keinerlei Probleme gab. Man müsse nur einen Weg dorthin finden, dann wären alle Sorgen und Nöte auf einen Schlag gelöst – so die weit verbreitete Meinung. Dass dies keineswegs der Fall war, konnte ich den Menschen hier am Tisch vermutlich kaum auf die Schnelle begreiflich machen.
»Ich kann euch leider nicht alle nach Europa einladen«, sagte ich deshalb diplomatisch, schlug jedoch vor, Safa und Inab eine Reise in meine neue Heimat zu ermöglichen. Inabs Vater hielt sich zurück, ganz im Gegensatz zu Idriss.
»Meine Tochter fährt auf keinen Fall alleine so weit weg. Entweder wir kommen alle oder keiner.«
Traurig senkte Safa den Kopf. Sie begann zu weinen.
Ich beschloss, mir die gute Idee nicht so einfach zerstören zu lassen, und erwiderte freundlich: »Hör mal, Idriss, du wirst sicher verstehen, dass ich nicht eure ganze Familie nach Europa einfliegen lassen kann. Aber wenn du ernsthaft daran interessiert bist, bei der Desert Flower Foundation mitzuarbeiten, dann nehme ich dich gerne mit. Nur musst du das dann aber auch wirklich tun. Ansonsten wirst du deine Reisekosten zurückzahlen.«
Verdutzt starrte Idriss in seine Kaffeetasse. Keiner sagte ein Wort, bis Safas Vater einlenkte. »Ich könnte ja als Fahrer für die Organisation arbeiten, die Mädchen zur Schule bringen, Essen ausliefern und Besorgungen machen«, schlug er vor. »Ich könnte sicher auch einige Nachbarn davon überzeugen, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen.« Stolz fügte er abschließend hinzu: »Wir sind nämlich eine angesehene Familie in Balbala.«
»Wunderbar«, beendete ich entschlossen die hitzige Debatte. »Idriss, Inab und Safa, ihr drei kommt in den Sommerferien für vier Wochen nach Europa. Zuerst zu unserer Foundation nach Paris, danach in unser Büro in Wien.«
Safas Mutter verdrehte wortlos die Augen. Ich konnte mir denken, was sie von dem Vorhaben hielt. Hoffentlich macht sie mir nicht noch einen Strich durch die Rechnung, dachte ich besorgt.
Indes war Safa aufgesprungen und rannte wild jubelnd um den Tisch. »Wir fahren nach Europa! Wir fahren nach Europa!«, rief sie ausgelassen.
Ich konnte mich gar nicht richtig mit ihr freuen, denn der finstere Blick ihrer Mutter trieb mir einen kalten Schauer über den Rücken.
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9.
Das
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