Safer (S)EX (German Edition)
…“
Natürlich war es die pure Ironie, ausgerechnet jetzt dieses Lied zu singen, aber sie liebte es noch immer. Ihre Freundin Nell hatte es geschrieben, und schon als sie es das erste Mal hörte, konnte P.J. sich voll und ganz mit dem Text und der Melodie identifizieren. Es drückte Gefühle aus, die zu sagen sie sich zu sehr schämte. Denn wie sollte man seine Sehnsucht nach einer Mutter ausdrücken, die man nicht hatte, sondern sich nur wünschen konnte? Mama’s Girl handelte von ihrem schönsten und innigsten Traum – eine Mutter zu haben, die ihre Tochter bedingungslos liebte und jedes Opfer auf sich nahm, um das Glück ihres Kindes zu sichern.
Es war ein Wunschtraum, ein Hirngespinst … Aber jedes Mal, wenn sie das Lied sang, schien sie sich selbst überzeugen zu wollen, dass es stimmte, dass diese Geschichte der alleinerziehenden Mutter, die ihr ganzes Leben nach dem Wohlergehen ihrer Tochter ausrichtete, ihre Geschichte war. Selbst jetzt, nachdem ihre Mutter sie um ihr Geld hatte betrügen wollen und noch dazu intimste Details ihres Privatlebens in den Medien ausbreitete, konnte dieses Lied sie wieder mitten in ihren Traum befördern.
Als das Lied immer häufiger im Radio gespielt worden war, hatte sie den Medien gegenüber allerdings zu einer Notlüge greifen müssen. Was hätte sie sonst auch sagen sollen, wenn die Journalisten fragten, ob der Text auf ihren eigenen Erfahrungen beruhte? Dass die Frau in dem Lied so weit von ihrer eigenen Mutter entfernt war, wie man sich nur vorstellen konnte? Dass sie damit eine Ode an eine namenlose, gesichtslose Frau sang, für die sie ihren rechten Arm gegeben hätte, nur um von ihr großgezogen zu werden?
Nein, die Frau war ganz und gar nicht namen- und gesichtslos. Sie stand für Jareds Schwester Victoria, die P.J. niemals vergessen hatte, vor allem nicht die Art und Weise, wie sie mit ihrer Tochter Esme umgegangen war. Nie hatte P.J. den durch und durch liebevollen Blick vergessen, mit dem Tori ihre kleine Tochter angesehen hatte. Auch ihre Großzügigkeit war ihr immer in Erinnerung geblieben. Als P.J. Denver verlassen hatte, um wieder bei ihrer Mutter zu leben, hatte Victoria ihr das schönste Puppenhaus geschenkt, das sie je gesehen hatte.
Deshalb hatte sie jedes Mal, wenn sie dieses Lied sang, Victorias Gesicht vor Augen.
Als das erste Set gespielt war, vibrierte P.J. fast vor Euphorie. Sobald sie die Bühne verließ, wurde sie alle zwei Schritte von Fans aufgehalten, mit denen sie redete und lachte. In bester Laune erreichte sie die Theke.
„Ein toller Auftritt“, lobte Wayne.
„Danke, es hat Spaß gemacht. Könnte ich wohl bitte ein riesiges Glas Wasser haben?“
„Ganz sicher. Wollen Sie auch noch was Stärkeres dazu? Einen Whisky vielleicht? Der geht aufs Haus.“
„Nein, danke. Ein Glas schmiert mir die Stimmbänder, aber alles, was darüber hinausgeht, vermasselt mir die Einsätze. Aber danke fürs Angebot.“
Wayne brachte ihr ein großes Glas Sodawasser, und sie trank es in einem Zug leer. Lachend nahm er ihr das Glas wieder ab, füllte es erneut, drückte einen Zitronenschnitz darüber aus und gab es ihr zurück. Eine Sekunde später drängten sich die Kellnerinnen um die Theke, und Wayne kümmerte sich um die eingehenden Bestellungen.
„Wie es aussieht, hast du die ganze Meute problemlos um den Finger gewickelt“, ertönte plötzlich Jareds Stimme direkt an ihrem Ohr.
Ein wohliger Schauer lief ihr von dort aus durch den ganzen Körper, und sie fuhr herum. Jared stand zwischen ihren und den nebenstehenden Barhocker geklemmt und sah in seiner verwaschenen Jeans, dem weißen T-Shirt und dem weißen offenen Hemd darüber unglaublich attraktiv aus. Er lächelte. Allerdings fiel ihr auf, dass er nicht mit den Augen lächelte. Das hatte sie schon vorhin bemerkt, und ihr wurde neuerlich bewusst, dass sie zwar den Jungen von damals in- und auswendig gekannt hatte, den Mann von heute jedoch kein bisschen durchschaute. „Ich habe gern Kontakt mit meinen Fans“, erwiderte sie kühl.
Er schob sich auf den Hocker neben ihr. „Du warst wirklich gut da oben.“
Also gut, zugegeben: Sein Lob behagte ihr sehr. Doch sie schrieb es einem kurzen Anfall von Nostalgie zu und neigte nur gnädig den Kopf. „Danke.“
„Aber warum trittst du hier in einer abgelegenen Kneipe auf, wo du kurz vor einer bahnbrechenden Konzerttournee stehst?“
„Ich tue, was ich am liebsten mag – mit anderen Musikern jammen.“ Sie zuckte mit den Schultern.
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