Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
strahlt vor lichtdurchflutetem Hintergrund dankbar zurück, der durchtrainierte Mann greift nach einem Fruchtplunder, und alle freuen sich auf Paris. Nette Passagiere, nettes Personal. Und das alles für nur neunundneunzig Euro. Enjoy every mile. Skyline.
Nur leider genieße ich hier wenig. Vor allem keinen Respekt. Natürlich unterscheiden sich auch Werbeplakate so sehr von der Realität wie TV-Spots, aber ich glaube, es ist nur menschlich, dass man immer wieder darauf reinfällt. Anders ließe sich der konstante Absatz von Enthaarungscremes auch gar nicht erklären.
»Kommen Sie, dann müsste ja hier jeder seine Quarzuhr ausschalten!«, schnauzt er jetzt unvermittelt und scheint endlich auch von mir ein wenig genervt zu sein.
Unfassbar! Er sollte sich lieber mal bedanken, dass ich ihn so energisch auf sein Fehlverhalten hinweise, das uns alle in nur wenigen Sekunden sinnlos in den Tod reißen könnte, noch bevor hier irgendjemand eine »Apfelschorle, aber mit stillem Wasser und mehr Saft als Wasser« bei mir bestellen kann. Und ich hoffe, dafür hat er dann keine neunundneunzig, sondern mindestens dreihundertsiebenundzwanzig Euro bezahlt.
Durchatmen. Ich werde mich nicht provozieren lassen. Ich werde professionell reagieren, deeskalieren und dabei mit meinen neuen Strähnchen in »Chocolate-Chip-Cookie-Braun« vom Friseur von Katie Holmes aus Boston glänzen.
»Kommen Sie, das ist doch wirklich albern heutzutage«, mault der iProll jetzt weiter, wobei er quasi in meinen Bauchnabel hineinspricht. Dann hebt er gnädig den Kopf und blitzt mich provokant-schmierig an.
Solche Männer schaffen es echt, dass ich mich elend fühle. Dabei sind Stewardessen und Stewards nur sekundär mit dem Service beschäftigt und primär Sicherheitsbeauftragte. Und auch wenn man das nicht weiß, müsste der Typ doch spüren, dass ich eine uniformierte und vom Luftfahrtbundesamt aufwendig autorisierte Person auf gefährlich hohen Schuhen bin! (Auf den flachen war ich bei Turbulenzen doch zu kipplig unterwegs …)
Mal überlegen, wie hier deeskaliert werden kann. In verfahrenen Situationen wie diesen kann es hilfreich sein, einen Stift fallen zu lassen und sich danach zu bücken, um die Spannungen zu lösen. Oder in die Knie zu gehen, um dem im Grunde hilflos in seinem Sitz auf sich zurückgeworfenen Gast ein Gefühl von gleicher Augenhöhe zu geben. Im Grunde steckt sowieso hinter siebzig Prozent aller Übergriffe auf Flugbegleiter reine Flugangst. Zumindest laut dem Seminar »Der Gast als emotionaler Terrorist«.
Ich betrachte den iProll genauer, kann aber keins der Symptome ausmachen, die sein Verhalten auf etwas anderes zurückführen ließen als auf pure Arroganz. Weder hat er sich diskret an mich gewendet und mir anvertraut, er habe seit drei Tagen Verstopfung aus Angst vor dem Geräusch, wenn das Fahrwerk einfährt, noch sehe ich kalten Schweiß auf seiner Stirn oder dass sich seine Hände bleich um die Armlehnen krampfen. Im Gegenteil. Er scheint jetzt irgendwas Schmissiges zu hören, beugt sich mit seiner solariumgebräunten Haut vor, holt zwei Dragees aus seiner Laptoptasche und grinst mich offensiv an:
»Aber Kaugummi kauen darf ich doch, oder?«
Also, das ist ja echt das Letzte! Das hier ist immer noch mein Flugzeug – ich stelle hier die Fragen! Und jetzt – oh Gott – zwinkert er mir auch noch zu! Glaubt der etwa, ich wäre korrupt?!
Vertraulich beugt er seine hundert Kilo weiter zu mir vor und hält den iPod zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger, so dass ich ihn aus der Nähe betrachten kann.
»DAS ist ein iPod – und kein Handy! Da muss nichts aus!«, belehrt er mich.
Ich spüre, wie mein Herzschlag sich unangenehm beschleunigt und mein Mund ganz trocken wird. Ich versuche, mich an meine im Zentrum des Inneren Glücks in Mumbai erlernte Atemtechnik zu erinnern und durch mein Scheitel-Chakra hinter die Wut zu ventilieren.
Nicht, dass ich keine Antwort auf seine irrelevante Anmerkung wüsste. Ich könnte sogar zwischen den Antworten wählen und stundenlang über die empfindliche Bordelektronik im Allgemeinen und mein Lieblingsargument im Besonderen plaudern: Die Tatsache, dass er der Letzte wäre, der es mitbekäme, wenn das Heck des Flugzeugs beim Start in Brand geraten und alles in neunzig Sekunden evakuiert werden müsste!
Das ist wirklich schon passiert: Hinten wurde gelöscht, vorne sang Billy Joel noch fröhlich »We didn’t start the fire« . Der betreffende Gast einer amerikanischen Airline
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