Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
Gepäck neben sich werfen würde, wäre die Überraschung weniger monumental.
Aber die meisten Menschen realisieren gar nicht, dass sie an einem Fenster sitzen, das sich bei Gefahr ganz einfach komplett hinauswerfen lässt, so dass man bequem aussteigen und auf der Tragfläche auf Hilfe warten kann. (Wie man am Beispiel Notlandung auf dem Hudson River sieht, kommt das sehr wohl vor.)
Ilona hält ihre Tasche fest umklammert, presst ihre Lippen energisch aufeinander und sieht mich feindselig an. »Ich werde sie behalten …«
»Das verstehe ich, nur leider sitzen Sie am Notausgang und …«
»Gut. Dann besorgen Sie mir einen anderen Sitzplatz!«
Ich sehe mich verzweifelt um, der Flieger ist komplett ausgebucht. »Leider habe ich für Sie keinen anderen Platz mehr. Aber es ist ja nur kurz für die Zeit des Startens. Sie können die Tasche in der Luft gleich wieder zu sich nehmen«, versuche ich einzulenken, als müsste ich einer trotzenden Dreijährigen im Spielzeuggeschäft eine unerschwingliche Prinzessin-Lilifee-Figur in Überlebensgröße entlocken.
Wortlos hält sie mir schließlich ihren riesigen schwarzen Beutel entgegen und denkt gar nicht daran, sich dafür zu bedanken, dass ich die gefühlten fünf Kilo nach oben hieve, wo ich zuvor umständlich herumräumen muss, um irgendwie noch etwas Platz zu schaffen. Bestimmt holt sie im Notfall erst die Tasche, anstatt das Fenster zu öffnen …
So, das wäre geschafft. Jetzt muss ich nur noch den schwarzen Trolley nach vorne schleppen. Ist das die neue Sky Wheeler/Orient-Express-Edition in Mattbeige?! Ich hoffe bloß, dass in der Business-Garderobe noch Platz ist. Ansonsten werde ich dem Besitzer beibringen müssen, dass sein ohnehin viel zu großes Gepäckstück nach unten ins Belly verladen wird, nachdem er es doch so mühsam bis in die Kabine geschleust hat.
Mark ist nicht nur Purser, sondern auch ein schwules Double von David Beckham, weswegen ich ein wenig abgelenkt war, als er mir beim Einsteigen der Gäste anbot, dass ausnahmsweise ich die Ansagen machen dürfe und er die Sicherheitsvorführung übernehmen würde und auch das Checken.
Eine ebenso charmante wie seltene Offerte, aber natürlich habe ich, typisch für mich, heldenhaft abgewunken und so etwas gesagt wie: »Ach, Quatsch. Trink du nur in Ruhe deinen Kaffee aus, ich mache das total gerne.«
Sonst hätte er jetzt den Kram hier an der Backe. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass der iProll auf einen Mann von vornherein ganz anders reagiert.
Der Flieger rollt sachte zurück – Pushback. Da so ein Flugzeug von alleine nur vorwärts rollen kann, gibt es ein kleines Auto, das uns mit einer Stange rückwärts aus der Parkposition schiebt. Ein Vorgang, bei dem elektronische Geräte längst aus sein müssen. Eigentlich sobald die Flugzeugtüren schließen, was man daran erkennt, dass die kleinen gelben Lämpchen, die die Reihennummer anzeigen, ausgehen. Das kann man als Gast natürlich nicht wissen. Deswegen gibt es ja mich – und die Ansage, die Mark jetzt macht:
»… möchten wir Sie bitten, noch einmal zu überprüfen , ob Ihre elektronischen Geräte wirklich ausgeschaltet sind.«
So, jetzt ist es offiziell. Ich mache mich ans Checken.
Die Kontrollgänge vor Start und Landung sind auch ohne Notfenster und iProll wirklich mit das Undankbarste, was die moderne Luftfahrt zu bieten hat – neben der Aufgabe, der letzten Sitzreihe auf der Langstrecke zu erklären, dass es kein Auswahlessen mehr gibt, sondern nur noch Penne mit Pesto.
Ich lasse meine Augen sanftmütig über Sitzgurte, Tische und Rückenlehnen schweifen und bewahre auch hier alle vor Schaden. Genauer einem Klapptisch in ihrer Milz, im Falle eines Startabbruchs.
»Wären Sie so freundlich, sich noch anzuschnallen?«, spreche ich einen bärtigen Herrn im weißen Leinenhemd an.
»Bin ich!«, giftet der zurück.
Ich schrecke kurz zusammen, lasse aber meinen Blick unverwandt auf dem lose in den Gang baumelnden Gurtende ruhen.
»Oh …« Peinlich berührt fingert er hektisch danach, um seinen Irrtum schnellstens zu beheben.
Die meisten Passagiere, das muss man auch mal sagen, sind jedoch keine Querulanten, sondern sogar so pflichtbewusst, dass sie ihre Hände, Decken und Pullover entgegenkommend anheben, sobald ich in Sichtweite bin. Um mir zu beweisen, dass sie angeschnallt sind. Nicht selten ein amüsanter Moment, denn bei im Übereifer zu hoch gezogener Bekleidung enthüllen nicht wenige ihre Kaiserschnitt- und Blinddarmnarben
Weitere Kostenlose Bücher