Sag, dass du eine von ihnen bist
nur auf Maisha.«
»Mann, ich bin schon groß. Jetzt verdiene ich unsere Brötchen. Du willst zur Schule? Ich zahl!«
Sie hauchte mir einen Kuss in den Wind. Maishas Cremes bleichten bereits ihr ebenholzschwarzes Gesicht.
Ehe ich antworten konnte, brach Naema in ein irres Lachen aus und lief in den Verschlag. Fast hätte sie Baba über den Haufen gerannt, als sie mit den Lebensmitteltüten wieder herauskam, die wir vergessen hatten. Sie stellte sie auf den Boden und fiel darüber her, füllte den Morgen mit Hoffnung und forderte uns alle auf mitzumachen. Baba knabberte an einem Hühnerflügel, Mama nahm sich einen Schenkel, wir übrigen stürzten uns auf Gewürzreis, Quetschkartoffeln, Salat, Hamburger, Pizza, Spaghetti und diverse Soßen. Wir tranken abgestandene Cola und geschmolzene Eiscreme. Mit den Zähnen machte uns Naema Tusker- und Castle- Bierflaschen auf. Erst aßen wir stumm, knieten auf dem Boden und blickten dabei immer wieder auf wie Eichhörnchen, die genau darauf achteten, was die anderen aßen. Keiner dachte daran, die Luftballons aufzublasen oder die Weihnachtskarten zu öffnen, die Maisha mitgebracht hatte.
Dann ließen sich die Zwillinge auf den Rücken fallen, lachten und kotzten. Kaum hatten sie sich erholt, aßen sie weiter, der Mund rosig, weiß und grün von Eiscreme und Bier. Sie gaben einfach keine Ruhe. Ein Taxi fuhr vor, und Maisha kam nach draußen; ihren Koffer zog sie hinter sich her. Während
der Fahrer half, ihn in den Wagen zu laden, hörten unsere Eltern auf zu essen. Meine Mutter begann zu weinen. Baba brüllte auf die Straße hinaus.
Ich schlich mich in den Verschlag, schüttete mir frisches kabire ein, schnüffelte, holte mein Schreibheft aus dem Karton und zerriss es. Ich nahm Stift und Füller, hielt sie nebeneinander und zerbrach sie; Tinte spritzte mir wie blaues Blut über die Hände. Ich holte meine einzige Hose und die beiden Hemden heraus und zog sie über das, was ich schon anhatte.
Die Uniform rührte ich nicht an. Ich saß, wo der Koffer gestanden hatte, und weinte. Es war, als hockte ich an einem frisch ausgehobenen Grab. Ich schnüffelte hastig, kippte die Flasche an und ließ das kabire bis möglichst dicht unter meine Nase laufen.
Als der Wagen mit Maisha davonfuhr, lockte unsere Trauer die Kids von der Straßengang an. Sie drängten sich um die Lebensmitteltüten, und ich warf die Flasche weg und ging zurück zu meiner Familie. Wir hatten Mühe, uns all das Essen in den Mund zu stopfen und die Tüten wieder im Verschlag zu verstauen; die Gang machte sich mit den Luftballons und Weihnachtskarten auf und davon.
Ich mischte mich unter die fortlaufenden Kids, stahl mich davon. Ich rannte in den Verkehr, kreuzte die Verkehrsinsel und verschwand in Nairobi. Die rülpsenden, glucksenden Zwillinge waren das letzte Bild, das mir von meiner Familie in Erinnerung blieb.
Mästen für Gabun
Das eigene Kind oder den eigenen Neffen zu verkaufen war meist schwieriger, als andere Kinder zu verkaufen. Man musste einen kühlen Kopf bewahren oder so rücksichtslos sein wie die Badagry-Seme-Leute von der Einwanderungsbehörde. Andernfalls handelte sich die Familie Ärger ein. In den drei Monaten, in denen Fofo Kpee unseren Verkauf plante, blieb dieses Geheimnis nur durch seinen Sinn für Humor gewahrt und durch den Schmugglerinstinkt, den er als agbero , als Grenzschleuser, entwickelt hatte. Meine Schwester Yewa war fünf, ich zehn Jahre alt.
Fofo Kpee war ein hart arbeitender, eher klein geratener Mann. Bis zum Gabun-Geschäft hatte er sich als einfacher agbero durchs Leben geschlagen, der sich seinen Unterhalt damit verdiente, Leute ohne Papiere über die Grenze zu schmuggeln oder gegen Bezahlung ein bisschen aufzumischen. Wenn der Harmattan wehte, verdingte er sich außerdem als Erntehelfer auf einer der vielen Kokosplantagen entlang der Küste. Im Lauf der Jahre hat er manches Unglück erlebt, war von Bäumen gefallen und an der Grenze in das ein oder andere Handgemenge geraten. Trotzdem blieb er optimistisch. Er schien die Welt mit einem Lächeln zu sehen, nicht zuletzt wegen einer Gesichtsverletzung, die er sich bei einer Prügelei zugezogen hatte, als er das Handwerk eines agbero lernte. Die Narbe, eine glänzende Wulst, lief quer über die linke Wange und endete an der Oberlippe, die davon so hochgezogen wurde, dass er den Mund nie ganz schließen konnte. Zwar gab er sich Mühe, die Narbe mit einem großen Schnurrbart zu tarnen, doch leuchtete sie wie
eine
Weitere Kostenlose Bücher