Sag, dass du eine von ihnen bist
überreden konnte, bei uns zu bleiben, doch gab Baba ihr zu verstehen, dass sie den Mund halten solle, da er den Vermittler machen wollte.
»Tochter«, sagte Baba, »du musst dich ausruhen und sorgfältig überlegen. Wie sagt unser Volk doch: ama im Norden, ama im Süden, ama im Westen, zu Hause ist's am besten …«
»Keine Schule mehr für mich, Maisha!«, sagte ich. »Ich hab's Mama und Baba gesagt. Sie geben dir das Geld zurück.«
»Bitte, Jigana, bitte, keine Widerworte«, sagte Maisha. »Vor allem nicht von dir. Hast du nicht wenigstens heute Abend Nachsicht mit mir? Zumindest für ein paar Stunden?«
Meine Eltern hockten draußen auf den Farbeimern. Ich stand mit dem Rücken zu ihnen an der Mauer. Bevor Maisha ging, wollte ich sie noch einmal sehen.
Mit dem Nebel kam der Tau, die Dunkelheit wurde noch dunkler, verwandelte das Licht der Notleuchten in einen fernen, diffusen Schein. Wir hörten, wie Maisha sich auf dem Boden drehte und wälzte, wie sie die Arme und Beine ihrer Geschwister verfluchte und nach den Mücken schlug. Es war, als hielten wir Wacht über ihre letzte Nacht bei uns. Wir fanden keine Ruhe, die Stille schien unerträglich. Baba murmelte vor sich hin, machte sich Vorwürfe, dass er das Kirchengelände nicht öfter gefegt hatte. Er gab Mama recht, hätte er jeden Tag und nicht nur jeden zweiten Tag gefegt, hätte der heilige Josef, Schutzpatron der Arbeiter, unser Los gewiss zum Besseren gewendet. Mama schimpfte ihn aus, weil Baba ihr immer geantwortet hatte, es ginge schließlich nicht um die Gunst des heiligen Josef, sondern um eine saubere Kirche für die Gläubigen. Daraufhin warf Baba ihr vor, dass sie nicht mehr bei den Slumrallyes der kenianisch-afrikanischen Nationalunion mitmachte, um ein paar Schillinge zu verdienen.
Die Nacht verdichtete sich zu einem Knurren und Stöhnen. Das Gezänk meiner Eltern hörte ich lieber als Maishas gequälten Atem. Als sie wieder einmal nach Moskitos schlug und sich dann umdrehte, hielt Mama es nicht mehr aus. Sie huschte in den Verschlag, band das Moskitonetz vom Karton ab und
knüpfte es so an den Sparren, dass es meine Schwester schützte. Dann versprühte sie erneut Mückengift und kam mit Baby heraus, um ihm die Brust zu geben. Das Husten wurde schlimmer. Baba rollte die Wände auf, um Luft hineinzulassen, was aber nichts half, da sich der Wind gelegt hatte. Er schnappte sich die Tür und schwenkte sie wie einen großen Fächer, um Luft in den Verschlag zu wedeln.
Am Morgen kamen Atieno und Otieno als Erste nach draußen. Sie sahen müde aus, und ihre Nasen trieften vom Mückengift, als sie sich vor uns stellten, niesten und wimmerten und ihren gelben Urin in den Morgen sprühten.
Die Straßen begannen sich zu füllen. Die Kids waren auf und verstreuten sich über den Tag wie Körner suchende Hühner über den Hof. Manche taumelten durch die Gegend, schon trunken von kabire . Ein Junge erzählte lauthals seine Träume und gestikulierte dabei wie verrückt, ein anderer kniete zittrig auf dem Boden und betete, die Augen so fest geschlossen, als wollte er sie nie wieder öffnen. Ein Mann schrie und zeigte auf zwei Kinder, die seine Brieftasche gestohlen hatten. Kein Mensch interessierte sich dafür. Seine Tasche war bis zum Reißverschluss aufgerissen, weshalb vorn in der Hose ein viereckiges Loch prangte. Er zog das Hemd runter, um seine Blöße zu bedecken, und eilte davon, ein verkrampftes Lächeln im Gesicht. Es gab keine Sonne, nur ein langsames Heranreifen des Himmels.
Die Zwillinge begannen zu plärren und fielen über Mamas Brüste her. Baba versohlte ihnen den Hintern. Danach hockten sie auf dem Boden mit all den aufgestauten Tränen, die sie nicht zu vergießen wagten. Naema brach den Bann. Als sie herauskam, setzte sie sich zu mir auf die Farbeimer, nahm meine Hand und versuchte, mich aufzumuntern. »Du bist zu traurig, Jigana«, sagte sie. »Willst du die Kleine heiraten? Denk dran, heute musst du mit Baby los.«
»Lass mich in Ruhe.«
»Dann heirate mich doch – ich bin noch hier.« Sie streckte mir die Zunge raus. »Ich bin auch deine Schwester – sogar schöner. Mensch, mach dein Fotogesicht – cheese .« Sie war ausgeruht, ihr anfängliches Entsetzen darüber, dass Maisha uns verlassen wollte, hatte sich im Schlaf gelegt. Jetzt war sie wieder ganz sie selbst, spöttisch und geschwätzig, mit ausgeprägten, perfekten Wangengrübchen. »Du musst Maisha gehen lassen.«
»Und du?«, fragte ich. »Du hörst doch
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