Sag, dass du eine von ihnen bist
die Tür, niemandem. Dein Papa ist nicht zu Hause, ich bin nicht zu Hause, niemand ist zu Hause. Hast du gehört, Monique, hm?«
» Yego , Maman.«
»Spar dir jetzt deine Fragen – bist doch ein kluges Mädchen. Wenn dein Papa und dein Onkel zurückkommen, werden sie dir alles erklären.«
Maman führt uns über den Flur in ihr Zimmer, wo sie eine Kerze anzündet, die sie vom Familienaltar im Wohnzimmer mitgenommen hat. Sie fängt an, sich auszuziehen, und wirft ihre Kleider auf den Boden. Sie sagt, sie wolle heute Abend ausgehen und sei schon spät dran. Sie keucht, als wäre sie gerannt; ihre Haut glänzt vor Schweiß. Maman schlüpft in das schöne, schwarze Abendkostüm, das Papa so gut gefällt, und
kämmt sich das weiche Haar. Ich helfe ihr mit dem Reißverschluss am Rücken. Sie schminkt sich die Lippen dunkelrot und presst sie zusammen. Die Pailletten an ihrem Kleid glitzern im Kerzenlicht, als stünde ihr Herz in Flammen.
Meine Mutter ist eine sehr schöne Frau, eine Tutsi. Sie hat hohe Wangenknochen, eine schmale Nase, feingliedrige Finger, einen süßen Mund, große Augen und eine schlanke Figur. Ihre Haut ist so hell, dass man auf ihrem Handrücken blaue Äderchen sehen kann, genau wie bei den Händen von Le Père Mertens, unserem Gemeindepriester, der aus Belgien kommt. Ich sehe wie Maman aus, und wenn ich erwachsen bin, werde ich so groß sein wie sie. Deshalb nennen mich Papa und die anderen Hutus Shenge , was auf Kinyarwanda »meine Kleine« heißt.
Papa sieht aus wie die meisten Hutus, sehr schwarz. Er hat ein rundes Gesicht, eine breite Nase und braune Augen. Seine Lippen sind prall wie Bananen. Er ist ein sehr, sehr lustiger Mann, der einen zum Lachen bringen kann, bis man weint. Jean sieht ihm ähnlich.
»Aber Maman, du hast mir gesagt, dass nur schlechte Frauen abends ausgehen.«
»Keine Fragen heute Abend, Monique, das habe ich dir doch gesagt.«
Sie verharrt und schaut mich an. Als ich den Mund aufmachen will, schreit sie: »Still! Geh, setz dich zu deinem Bruder!«
Maman schreit mich sonst nie an. Heute benimmt sie sich seltsam. Tränen schimmern in ihren Augen. Ich nehme das Fläschchen Amour Bruxelles zur Hand, das Parfüm, das Papa ihr geschenkt hat, weil er sie liebt. Das ganze Viertel erkennt Maman an ihrem tollen Geruch. Als ich ihr das Fläschchen reiche, zittert sie, als wäre sie gerade erst wieder zu Verstand gekommen. Statt das Parfüm selbst aufzutragen, sprüht sie Jean damit ein. Er ist ganz aufgeregt und riecht an seinen Händen,
seinen Kleidern. Ich bitte Maman, mich auch einzusprühen, aber sie weigert sich.
»Wenn sie dich fragen«, sagt sie streng, ohne mich anzuschauen, »sag, du bist eine von ihnen, okay?«
»Wenn wer mich fragt?«
»Egal wer. Du musst lernen, für Jean zu sorgen, Monique. Du musst einfach, ja?«
»Mach ich, Maman.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Maman geht ins Wohnzimmer, Jean ihr nach. Er quengelt und will auf den Arm genommen werden. Ich trage die Kerze. Wir setzen uns aufs große Sofa, und Maman bläst die Kerze aus. Im Wohnzimmer ist es nie ganz dunkel, weil das Kruzifix in der Ecke gelbgrün schimmert. Völlig transparent, sagt Papa gern. Jean krabbelt sofort zum Altar, wie immer. Er legt die Hände aufs Kruzifix, als wäre es ein Spielzeug. Das Licht fällt durch seine Finger, macht sie grün, und er dreht sich zu uns um und lacht. Mit schnellen Schritten hole ich ihn zurück. Ich will nicht, dass er das an die Wand gelehnte Kruzifix herunterzieht oder die daneben stehende Vase mit Bougainvilleen. Es gehört zu meinen Aufgaben, mich um den Altar zu kümmern. Ich liebe das Kruzifix, genau wie meine Verwandten, ausgenommen Tonton Nzeyimana – den Zauberer.
Der Zauberer ist der Bruder von Papas Vater. Er ist ein Heide und sehr mächtig. Wenn er dich nicht leiden kann, kann er dich verzaubern, bis du nutzlos wirst – es sei denn, du bist ein wirklich starker Katholik. Seine Haut hat die Farbe von Milch mit einem Schuss Kaffee. Er sagt, er wollte nie heiraten, weil er seine Hautfarbe hasst und sie nicht weitervererben will. Manchmal malt er sich mit Kohle an, dann ist er schwarz, bis der Regen kommt, der das Schwarz wieder fortwäscht. Ich weiß nicht, woher seine Farbe stammt. Meine Eltern sagen, es sei eine komplizierte Geschichte vieler Mischehen. Er ist so alt, dass er
einen Stock zum Gehen braucht. Seine Lippen sind lang und schlaff, weil er den Leuten damit Unglück und Krankheit zubläst. Mit seinem hässlichen Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher